Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
gegangen. Es gebe keine Schuhe, hat Sohn Sindermann gesagt; Vater:«Du mußt auch nicht zum Metzger gehen, wenn du Schuhe haben willst.»- Krenz-Sohn:«Mein Vater ist schon tot. Traurig, daß er immer so rumsitzt zu Haus.»
An M/B gearbeitet, Ulla und Krahnstöver. Da sind noch Ungereimtheiten. Stehlen sie den Botero?
Richard Löwenthal ist gestorben, der Soziologe. Das Interview damals, 1982 im Dezember in Berlin, seine sonderbare Wohnung. Der Plastikspringbrunnen und der elektrische Kamin. Nebenan ein Zimmer mit einem Eßtisch voller Fotokopien. Seine Frau saß da und hörte von dort aus zu, ob ihr Mann nicht vielleicht Dummheiten von sich gibt. Ich sollte ihn eigentlich nur befragen über den Jahrestag der«Machtübernahme»oder«Machtergreifung»und habe das ausgenutzt zu einem Klöngespräch über sein ganzes Leben. Das Tonband muß noch irgendwo sein.
Friedrich Luft ist auch gestorben und der Musikkritiker, dessen Namen ich mir nicht merken kann. Stuckenschmidt.
Lieschen gestern, die Geschwindigkeit, mit der sie sich aus ihrem Spezialhalsband herauswand. – Erinnert mich ein bißchen an die Eile, mit der sich die Mecklenburger und Thüringer aus ihrer jetzigen Malaise herauszuwinden versuchen.
Nartum Fr 16. August 1991
Zarter Morgen. Ich bin, bevor alle aufstanden, im Morgenmantel einmal durch den Garten gegangen. Wie anders ist es zu dieser Tageszeit. Alles ist verändert.
Eine Drossel kreischte plötzlich über den Weg. So was stört einen friedlichen Menschen.
FAZ spricht vom«ächzenden Haushalt»der Bundesregierung.
Folge der Entspannung sei, daß nun die Bundeswehr zurücksinkt. Die Leute seien nicht mehr motiviert. – Wenn die Armeen an die Grenzen schwappen, können sie ihre Flammenwerfer ja wieder herausholen.
Hildegard fragt, ob das wirklich so gut ist, daß sie alle Panzer verschrotten?
Im«Rheinischen Merkur»wird ein Buch von Walther Bienert rezensiert. 1922 habe es schon 23 Konzentrationslager in der SU gegeben, 1923 bereits 355! Das Dekret, nach dem dies geschehen ist, stammt vom 5. 9. 18:«… die Absicherung der Sowjetrepublik gegen Klassenfeinde vermittels deren Isolierung in Konzentrationslagern».
Dies hat nichts zu tun mit unseren Toten.
Die Verkaufszahlen meiner Bücher für die erste Hälfte’91 sind gekommen. Danach hätte ich von«Hundstage»immerhin 40 000, vom«Sirius»hingegen nur 9000 verkauft. Hörspiel-Kassette: 1500 Stück. Wer in die Buchhandlung geht, erfährt in der Regel: Dies Buch gibt es gar nicht.
2007: Tagebücher meistens um 10 000 Stück. Aber das ist doch auch nicht schlecht? Die Leser gewöhnen sich erst allmählich an dieses Genre.
Habe wieder was falsch gemacht. Der junge Herr Winter war da, der damals, 1983, so einen blöden Artikel über unser Seminar geschrieben hat, und ich dann im«Sirius»mit dem Hammer zugeschlagen. Er kam heute, mit goldbehängter Mutter, Bücher signieren lassen. Guckte mich gar nicht an. Vielleicht schämte er sich. Offensichtlich der Sohn des großen«GEO»-Winter, vielleicht eine gescheiterte Existenz? – Nun, ich war freundlich zu ihm, signierte alles und zeigte wie üblich das Haus.
Die Mutter:«Dieses Haus ist ja eine Fundgrube für gemütliche Ecken!»
Sie erzählten: Jahrelang habe gegolten: Wer zum Klo ging – ein Kempowski-Exemplar mußte mit. Das seien immer so kleine Absätze, da komme man immer gut rein.
TV: Haarsträubender Bericht über Stralsund. Sehr schöne Bilder, überall wird gebaut, und es wird erwähnt, daß die Bundesregierung so viel Geld bewilligt hat, daß sie das gar nicht ausgeben können, und dazu ein völlig konträrer, höhnischalberner Kommentar eines gewissen Michels. Z. B. wurden neue Gebäude gezeigt, die ganz offensichtlich aus Containern zusammengestellt waren: ob das die neue Baukunst aus der Bundesrepublik sei. So in diesem Stil.
Desgleichen über die Umbettung Friedrichs des Großen: Mit militärischem Pomp sei er abgeholt worden, die Leute in Hechingen weinten den Särgen keine Träne nach. Und worin bestand der militärische Pomp? Acht Offiziere der Bundeswehr, soweit ich es sehen konnte, und eine Feuerwehrkapelle. Und der Zug, ein einfacher D-Zugwagen und ein Packwagen. Das war alles.
Bevor der Sarg auf Reisen ging, ist er von einem Kastellan kurz geöffnet worden! Ganz so, wie man ihn sich vorstelle, habe der große König ausgesehen, Uniform noch intakt. Warum kriegen wir kein Foto zu sehen? Es ist so vieles merkwürdig in
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