Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
merken, daß er bereits«pumpt», wie das Maikäfer tun, bevor sie ihre Chitinflügel spreizen und sich davonmachen. Jüngstes Beispiel fand ich in seiner Monika-Maron-Buchkritik:
Monika Marons Roman ist wie ein erstickter Schrei, ein unterdrücktes Schluchzen, ein niedergerungener Klagelaut.
Das ist doch schon was!
Und gebrannte Väter, die mit tränenschwerer Zunge ihrer Umwelt Bescheid sagen. Also …
Was für ein Charakter! Daß er neulich geschlagene vier Stunden neben mir saß, zwischen uns nur Frau Ungereit, und den Kopf stramm in die entgegengesetzte Richtung von mir wegdrehte. Ob er sich hinterher massieren ließ?
Er war doch ein ganz umgänglicher Mensch. Hat mich 1964 mal besucht.
Ein starker Antrieb für die Arbeit an«Echolot»liegt im Denunziatorischen des Unternehmens. Und dieses wird ihm auch Leser zuführen (das Leseinteresse wecken).
2007: Daß Himmler sich in Dachau die Haare schneiden ließ. Doch wohl nicht von einem Häftling? Ließ er sich hinterher den heiligen Kopf desinfizieren?
Nartum Mi 4. Dezember 1991
Heute früh auf nüchternen Magen die Nachricht, daß die EG-Leute sich darauf geeinigt haben, noch vor dem Jahr 2000 eine gemeinsame europäische Währung einzuführen. Tut mir leid, ich bin dagegen. Man kann sich ja vorstellen, wie die gerissenen Italiener und die oberschlauen Franzosen uns ausleeren werden. Na, dann bin ich 70 Jahre alt, und irgendwann muß nach mir die Sündflut ja mal kommen.
2007: Ich sage immer noch«Mark», und es gibt Menschen, die mich verbessern:«Sie meinen Euro?»Es sind junge Verkäuferinnen, die das tun. – Die Fluktuation der Münzen: selten, daß man mal einen französischen Euro in die Finger kriegt.
Wir sitzen in einem steuerlichen Hochsicherheitstrakt. Ausbrechen unmöglich.
«Echolot»: Heute fing ich mit dem 1. Februar 1943 an, das Material ist großartig, wenn man das bei diesen traurigen Tatbeständen so ausdrücken kann.
Heute früh auf N3 sagte die Moderatorin mehrmals: Georg Friedrich Telemann. Ich würde sagen, wir verzeihen ihr. – Vor solchem Lapsus schützt auch die Umbenennung von NDR3 in N3 nicht.
Jetzt haben sie den evangelischen Herrn Fink von der Humboldt-Universität am Arsch. Und da gibt es doch tatsächlich Studenten, die für ihn demonstrieren. Sie applaudierten ihm begeistert. Manche aber auch nicht. – Wieso denkt man bei Theologen immer gleich an den Teufel?
Blumen kriegt er geschickt, auch legt man ihm welche aufs Pult.
Die gleiche Eselhaftigkeit ist in den Gesichtern der Studenten zu bemerken wie damals, als sie mit Dutschke auf die Straße gingen.
Wie schade, daß ich nicht im Brennpunkt ihrer eselhaftigen Begeisterung stehe, sie jubeln Herrn Fink zu, anstatt daß sie meine Bücher kaufen. – Um mich zu beruhigen, zählte ich gleich wieder die Anzahl meiner Publikationen an den Fingern ab. Je nach Großwetterlage sind es 25 oder 27 Stück, das Kleinvieh nicht mitgerechnet.
2007: Seither ist noch ein bißchen was dazugekommen: 10 Bände«Echolot», Romane, die Tagebücher. Das Werk hat sich gerundet, wie man so sagt.
Daß die Ukrainer u. U. Zugriff auf die Atomwaffen haben, stört mich nicht so sehr, die sind in meinem Bewußtsein eben doch auch«abendländisch». Aber die Aserbeidschaner, Mukden und Pukden, daß die das Knöpfchen drücken können, das muß verhindert werden, denn die tun’s (eines Tages sowieso).
Das kleine rote Taschenmesser gehört zu der statischen Weihnachtserinnerung, die in mir ab und zu aufkocht; der Gang zum Großvater, in einem ersten wachen Jahr erlebt, es muß 1937 gewesen sein. Das Spielen auf dem Fußboden, die zu schnell gehende Kuckucksuhr. Die Tische der Geschwister interessierten mich nicht. Das nach Öl und Gummi riechende neue Spielzeugauto.
Heute kaum nachvollziehbar, daß damals der Exodus der Juden bereits im Gange war, daß es KZ gab und daß Hitler über seinen Todesplänen brütete.
«Echolot»: Mit größter Befriedigung arbeitete ich bis in den Abend hinein am 1. 2. 1943.
Es ist wahr, das System der Gleichzeitigkeit ist banal. Interessant ist es nur durch die Schattierung; die Variante, die Gegenüberstellung. Und da sitzt dann auch das Lesevergnügen. (Sagen wir lieber: -gewinn.)
Die Massagen tun mir gut. Störend sind die Gespräche in den Nachbarkabinen, Leute, die den geduldigen Masseuren ihre Leiden aufzählen.
Streichquintett in Es-Dur, Mozart. Denke an die Autofahrten nach Oldenburg, das
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