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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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funktionieren? Hat er denn Schnecken und Würmer gegessen und in einem Keller gehaust? – Ich bekam nach dem Krieg bei Konau pro Monat 25 RM. Genau 25 Mark kostete eine Ami-Zigarette.
    Stephan Hermlin – war das nicht ein Herrenreiter? Außen Marmor, innen Gips?

     
    «Der Kritiker»
    Hildegard hat kleine Bilder von Renate mitgebracht, entzükkende kleine Stücke. Die man ja allerdings nicht verkaufen kann, wenn man sie nicht anbietet. Und ihre umgerüsteten Stoffbewegungstiere würde sie reißend los.«Der Kritiker»steht jetzt hier bei mir auf dem Schreibtisch. Er kann sogar bellen!
     
    Ich lese in älteren«Horen», man faßt sich an den Kopf. Irrenhaus. Man ist zu müde, sich zu all diesem Quatsch zu äußern. Das innere Widerlegen reicht schon. Ob es krank macht? Setzt es sich fest?
     
    Ein Organist wurde gezeigt, der auf der fünfmanualigen Orgel von Notre-Dame spielt und sich daher mächtig ins Zeug legt.«Ob das überhaupt eine Rolle spielt, daß er sich da so vorbeugt? »- Nein, das habe nur emotionale Gründe, es sei völlig gleichgültig, ob einer sich beim Spiel hin- und herwiegt oder zart oder doll die Hände in die Tasten schlägt. Hin-und-Herwiegen geht ja noch, aber dieses Grimassieren der Geiger und Pianisten … Von den Dirigenten ganz zu schweigen. Und die Sänger erst! Man müßte ihnen Masken aus Pappe umbinden. Aber das klingt dann sonderbar.
    T: Ich habe mich unverständlicherweise bereit erklärt, auf der Orgel von St. Marien aus Benefizgründen etwas vorzuspielen. Wir fahren viel zu spät los, und ich stecke ein paar kindische Noten ein. – Kirche ist gottlob ziemlich leer. Ich steige und steige die Treppen hinauf und überlege den Rest des Traumes, daß ich improvisieren werde, da ist dann nichts zu beweisen. In den Räumen, durch die ich komme, wird Spielzeug sortiert.«Dies war ein Alptraum», denke ich, als ich endlich Gott sei Dank aufwache.
     
    8.30 Uhr
    Ich:«Na, meine Liebste?»
    Hildegard:«Meine Nase tropft.»
     
    TV: Auf der Straße in Bremen wurde eine wohlgenährte Frau mit drei wohlgenährten Kindern angetroffen, die saß auf dem Pflaster und bettelte.
    Warum sie das tut, fragte sie eine eifrige Heil- und Segenreporterin.
    Ja, sie kriegt zwar Alo-Unterstützung, 2000 Mark im Monat, aber sie möchte doch so gern ihren Kindern Schokolade kaufen. Entrüstete Passanten um sie rum. Eine Zigeunerin aus Rumänien war es, in Deutschland.
     
    Noch zum Rumänientraum. Ich sah aus dem Fenster und freute mich an dem schönen Dorf und dachte: Das ist nun alles vorbei, der friedliche See, die Bäume unserer Vorväter.
     
    «Wir müßten ein Hundeweihnachten feiern»(Hildegard).
    Mit einer Wurstzipfelkette am Weihnachtsbaum.
     
    War eben bei der Massage, meine Schultern waren wie Stein. Der Masseur hat keine magischen Hände. Wenn Hildegard das mal macht, für drei Minuten, dann hat das eine ganz andere Wirkung. – Hemd anlassen, das duldet der Masseur nicht. Meine empfindliche Haut und seine empfindlichen Hände.
     
    2007: Inzwischen feiert das Massieren in sogenannten Wellnessbereichen wahre Triumphe. Aber die Kasse zahlt das nicht.
     
    Jetzt ist herausgekommen, daß den Israelis laufend Waffen geliefert wurden, ganze Schiffsladungen. Mich ärgert es, daß sie die NVA-Waffen so verschleudern.«Die Panzer werden wir vielleicht noch brauchen!»sagt Hildegard.
     
    2007: Ein NVA-Auflöser erzählte mir, daß die NVA-Panzer, die sie bei der Übernahme inspizierten, in sehr schlechtem Zustand gewesen seien. Nur die ersten zwei, drei Reihen gut gewartet. Na, dann wäre das mit dem Blitzkrieg bis zum Atlantik wohl doch nichts geworden.
     
    Selten sieht man Fotos vom Inneren von Panzern. Im 1. Weltkrieg hatten die Dinger 10 Mann Besatzung. Man schoß sie mit Artillerie ab. Die Deutschen stellten sich schnell darauf ein. In Amerika sah ich einige im Original. Die französischen Panzer des 1. Weltkriegs wurden im 2. weiterbenutzt. – Ich habe den ganzen Krieg über keinen einzigen Panzer gesehen, aber gehört. Russische ja, aber keine deutschen. Die russischen nahmen die Hausecken mit. – Die jämmerlichen Panzer der Polen auf einer Parade kurz vorm Krieg. Die Dinger hätten sie man lieber nicht zeigen sollen. – Die Panzerschlacht von Kursk ging für die Deutschen verloren, weil sie keine Maschinengewehre hatten, sie konnten die aufgesessenen Sowjets nicht bekämpfen.

Nartum Di 3. Dezember 1991
     
    1 Uhr früh
    Wälze mich mit Gedärmeschmerzen. Ich merkte es schon beim

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