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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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schweißgebadet.
    Ich durfte keine Zeit verlieren. Also drückte ich das hohe,
schmiedeeiserne Tor auf und ging die wenigen Stufen zur breiten,
bleiverglasten Tür an der linken Seite des Hause hoch. Ich
schellte.
    Mir wurde noch heißer. Was tat ich hier? Es war, als tanze
die Welt Walzer. Ich hielt mich am Türrahmen fest. Hoffentlich
sah mich jetzt niemand. Mühsam richtete ich mich wieder auf und
versuchte gerade zu stehen. Nach zwei Anläufen gelang es
mir.
    Die breite Tür schwang plötzlich nach innen, ohne dass
ich vorher auch nur den geringsten Laut dahinter gehört
hätte.
    Ich stand einem Mann gegenüber, der mich entsetzte.
    Diese Augen! Unwillkürlich wurde ich an die Beschreibungen
meines Onkels erinnert. So musste auch er in seinen letzten Tagen
ausgesehen haben. Diese Augen waren wie schwarze Höhlen, wie
bodenlose Abgründe. Sein Gesicht war totenbleich.
    »Ja bitte?«
    Die Stimme war heiser und rau. Ich erwiderte den schwarzen Blick
und hatte den Eindruck, dass sich mein Gegenüber etwas
entspannte; sogar seine Augen schienen heller zu werden.
    »Sind Sie Friedrich Adolphi?«
    Er nickte kurz. Ich stellte mich vor und erwähnte dabei auch
meinen Onkel. Sofort kehrte die Schwärze zurück, diesmal
aber loderte sie vor Bosheit.
    »Ich will mit niemandem etwas zu tun haben, der mit diesem
Scheusal verwandt ist!«, schleuderte mir der entsetzliche Mann
entgegen und wollte schon die Tür zuwerfen. In meiner Not hielt
ich sie mit dem Fuß offen.
    »Hören Sie mich doch bitte erst einmal an. Wissen Sie
schon, dass mein Onkel tot ist?«
    Das wirkte. Ich spürte, wie der Druck gegen meinen Fuß
nachließ; die Tür wurde wieder ein wenig weiter
geöffnet.
    »Tot? Wurde auch Zeit. Und jetzt entschuldigen Sie mich
bitte. Eine gute Nachricht am Tag ist genug.«
    »Es gibt da noch etwas, das Sie unbedingt wissen
müssen!«, sagte ich rasch. »Es… es steht in
Zusammenhang mit meinem Onkel. Es ist wichtig.«
    »Wie kann etwas, das mit Ihrem verblichenen Onkel in
Zusammenhang steht, wichtig sein?«
    In meinem Kopf raste und schaukelte es. Ich konnte einfach keinen
klaren Gedanken mehr fassen. »Ich muss… Sie
müssen…« Ein Niesanfall erlöste mich davon, den
Satz beenden zu müssen.
    Adolphi trat angewidert einen Schritt zurück. »Gar
nichts muss ich«, antwortete er harsch.
    »Bitte lassen Sie mich doch erklären – aber nicht
hier draußen. Hätten Sie denn nicht einmal eine einzige
Minute Zeit für mich?«
    »Na gut.« Adolphi trat zur Seite und ließ mich
ein. Bevor er die Haustür hinter sich schloss, warf er gehetzte
Blicke in alle Richtungen. Dann führte er mich in sein
Allerheiligstes.
    So viele alte und wertvolle Bücher hatte ich noch nie auf
einem Haufen gesehen. Adolphis Bibliothek war zu Recht weithin
bekannt. Er wies mir einen Sessel an und setzte sich selbst hinter
einen etwas verkratzten englischen Schreibtisch aus Mahagoni.
    An den Wänden gab es nichts außer Regalen und Vitrinen.
Eine geschwungene Jugendstildeckenlampe verbreitete
grünlich-gelbes Licht, das sich in den vielen Scheiben der
Bücherschränke brach und verwirrende Reflexe auslöste.
Die Goldprägungen auf den Lederrücken glänzten wie aus
sich selbst heraus. Adolphi entging meine Bewunderung nicht.
    »Eine schöne Sammlung, das kann ich Ihnen sagen«,
meinte er selbstgefällig. »Recht bekannt in
Bibliophilenkreisen.«
    »Sogar ich habe davon gehört«, pflichtete ich ihm
bei. »Hier soll manche Rarität stehen.«
    »Das stimmt allerdings«, meinte Adolphi und lehnte sich
in seinem Sessel zurück. Jetzt war sein Blick sanfter geworden,
doch seine Stimme hatte ihre anfängliche Schroffheit behalten.
Er wirkte jetzt klein und zerbrechlich. Sein krauser, weißer
Haarschopf umrahmte sein Gesicht wie ein Heiligenschein und
allmählich kehrte so etwas wie Röte auf seine Wangen
zurück.
    Ich versuchte es mit Diplomatie. »Haben Sie sich auf ein
bestimmtes Gebiet konzentriert?«, fragte ich.
    »Nein«, antwortete er. »Ich sammle alles, was
kurios, teuer und selten ist. Mein Geschmack ist so einfach wie der
von Oscar Wilde: Ich bin stets mit dem Besten zufrieden.
Übrigens besitze ich eine Ausgabe von Wildes Salome mit
den Illustrationen von Aubrey Beardsley, die vom Autor und vom
Künstler signiert ist – das einzige bekannte Exemplar
seiner Art.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte ich nicht ganz
unaufrichtig. »Könnten Sie es mir einmal zeigen?«
    Jetzt hatte ich ihn geködert. Adolphi schien alles um sich
herum zu vergessen.

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