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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Na, machen Sie schon, stehen Sie auf und gehen
Sie!«
    Er meinte es ernst, das war deutlich zu sehen. Ich hatte es
vermasselt.
    »Nein…«, versuchte ich mich zu wehren. »Sie
missverstehen mich. Es war doch nur eine Frage – sozusagen von
einem Bibliophilen zum anderen…«
    »Sie sind ein hinterhältiges Subjekt!«, polterte
Adolphi. »Sie haben sich hier eingeschlichen und mein Vertrauen
missbraucht, nur um an Ihr nichtswürdiges Ziel zu kommen!«
Einen Augenblick lang glaubte ich, er wolle mit dem Folianten, den er
gerade in der Hand hielt – Vesalius’ De humano corpore
fabrica mit wunderbaren anatomischen Kupfern - auf mich
eindreschen, aber angesichts des Wertes dieses Buches schien er es
sich schnell anders zu überlegen. Er stand zitternd vor Wut da
– und dann lauschte er plötzlich wieder. Er ließ die
Arme sinken; beinahe wäre der Foliant zu Boden gepoltert. Ich
konnte das kostbare Stück gerade noch rechtzeitig auffangen. Da
sah er mich an und sagte mit einem schwachen Lächeln, das Steine
erweichen konnte: »Sie sind kein schlechter Mensch; das haben
Sie gerade bewiesen. Warum wollen Sie Ihr junges Leben mit einem Buch
wie dem Enchiridion verderben?«
    Ich verstand ihn nicht. »Es befindet sich in Ihrer
Bibliothek, nicht wahr?«
    Statt einer Antwort nahm er mir den Vesalius sanft aus der Hand
und ging damit zu der Vitrine, in die er gehörte. Dann holte er
aus einem anderen Bücherschrank ein Buch im Kleinfolioformat und
hielt es hoch. Es besaß einen Pergamenteinband und war auf
fünf Bünde gezogen. Es hatte weder ein geprägtes
Rückenschildchen noch einen handgeschriebenen Titel. »Das
ist es«, sagte Adolphi. »Aber erwarten Sie nicht, dass ich
es Ihnen gebe.«
    »Warum nicht?«
    »Sie sollten mir dankbar sein, junger Mann. Ich habe selbst
keine Ahnung, was mit diesem Buch los ist und ob es nicht schon
ausreicht, es zu sehen, um unter seinen unheiligen Einfluss zu
kommen.« In seinen Augen brannte jetzt ein kaltes Feuer.
    Ich bekam Angst – nicht vor dem Buch, sondern vor
Adolphi.
    Er legte das Buch auf den Schreibtisch und stellte sich dicht vor
meinen Sessel. Ich konnte seinen sauren Atem riechen. »Ja, ich
glaube gern, dass Ihr Onkel alles gegeben hätte, um in den
Besitz dieses Bandes zu kommen. Und ich wünschte, ich hätte
ihn nie besessen.«
    Hätte Jakob auch sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt?,
schoss es mir durch den Kopf. Warum wollte er es selbst nach seinem
Tode noch haben? Plötzlich hatte ich eine Vision. Ich sah, wie
Onkel Jakobs Körper, der irgendwo mit vielen Steinen beschwert
in einem Teich lag, quälend langsam an die Oberfläche
stieg. Dann bewegte er sich. Er befreite sich von den letzten Steinen
und schwamm ans Ufer; nun kletterte er aus dem Wasser. Er war
schrecklich bleich und blau und aufgedunsen – eine wandelnde
Wasserleiche. Und er machte sich auf den Weg. Auf den Weg zu diesem
Buch. Offenbar war mein Fieber gestiegen. Ich wischte mir den
Schweiß von der Stirn.
    Adolphis Stimme bohrte sich durch meinen Fiebertraum. »…
nie mehr. Ich habe gewonnen. Ja, er wollte mir das Buch abkaufen. Er
hätte es vielleicht sogar gestohlen, wenn sich ihm die
Gelegenheit dazu geboten hätte. Aber ich war auf der Hut.
Vielleicht habe ich doch einen Fehler gemacht. Ich hätte es ihm
geben sollen, denn ich habe es inzwischen gelesen und weiß
jetzt, dass es weitaus mehr ist als nur ein toter Gegenstand aus
Papier, Leim, Druckerschwärze und Pergament. Es greift in das
Leben seiner Leser ein.«
    »Was steht denn drin?« Mühsam versuchte ich mich
wieder in der Gegenwart zurechtzufinden. Ich umklammerte die Lehnen
meines Sessels, um mir ein Gefühl für die Wirklichkeit zu
verschaffen. Es gelang mir nur unzureichend.
    Jetzt schien Adolphi ein einziges Fragezeichen zu sein. »Das
ist ja das Verrückte«, sagte er. »Es ist bloß
eine Abhandlung über die römische Mythologie –
einschließlich einiger Kulte, über die man in anderen
Quellen nur sehr wenig lesen kann; aber insgesamt ist es nichts
Aufsehen Erregendes.«
    »Wieso sollte das Buch dann irgendeinen Einfluss
ausüben?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, dass es mit
dem Buch zu tun hat – mit was sonst?«
    War der Mann ganz einfach verrückt? Und – was wollte
Onkel Jakob mit einem mythologischen Buch, derer es doch Tausende
gibt? Ich erinnerte mich an seine eigene bemerkenswerte Sammlung auf
diesem Gebiet. Es ging ihm nicht um die Seltenheit eines Buches,
sondern hauptsächlich um dessen

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