Somniferus
stocksteif in meinem Sessel
sitzen und wartete gespannt auf Petras Rückkehr.
Nach kurzer Zeit rauschte sie mit einem schmalen Buch herein und
ließ sich schwer in ihren Sessel fallen, der darauf ein
unwilliges Knarren von sich gab. Danach herrschte einen Augenblick
lang vollkommene Stille.
Ich setze mich in einem Raum gern so, dass ich ein Fenster und
nicht nur die Wände im Blick habe. So war es auch hier.
Ich konnte zwar kaum durch die Spiegelung des Zimmers
hindurchsehen, doch ich erkannte die schwarzen Umrisse der Bäume
hinter dem Haus; die Straße lag wohl auf der anderen Seite.
Nicht das geringste Geräusch war von draußen zu
hören. Das Blut rauschte mir in den Ohren. Es war eine
erstickende Stille, die etwas Beklemmendes hatte – eine Stille,
die unweigerlich schrecklichen Lärm nach sich ziehen musste. Ich
hoffte, dass er noch weit entfernt war.
Jetzt blätterte Petra in dem schmalen Buch, auf dessen
vorderem Umschlag ein Kreuzgang abgebildet war, unter dem in
weißen Lettern stand: Klosterlandschaft Eifel.
»Petras Mann ist ein begeisterter Heimatkundler. Er hat eine
große Eifel-Bibliothek«, klärte Lisa mich auf.
»Manchmal ist er halt doch noch zu etwas gut«, murmelte
Petra, während sie blätterte. »In diesem schönen
Bändchen sind alle Klöster der Eifel aufgelistet und
beschrieben. Es wäre doch gelacht, wenn wir unseres nicht darin
finden.«
Nun war sie erst einmal beschäftigt. Ich trank mein Glas leer
und erlaubte mir nachzuschenken. Dann schaute ich wieder durch das
Fenster und hinter die Spiegelung unserer selbst. Es war wie die
ewige Nacht. Opfernacht. Blutrituale? Warum sollte ich diese Statue
suchen? Wie konnte sie meinem toten Onkel noch nutzen? Gab es
überhaupt eine Statue? Warum hatte er sich umgebracht? Auf
welche Weise? Wo befand sich sein Leichnam? Und – war der Tod
Friedrich Adolphis ebenfalls ein Selbstmord? War Adolphi in den Tod
getrieben worden? Waren seine Schreie keine Todesschreie gewesen,
sondern Ausdruck seiner unfassbaren Angst vor etwas, das er kurz vor
seinem Tod gesehen hatte? Aber außer ihm und mir war niemand in
seinem Haus gewesen – das hätte ich schwören
können. Ich hatte allerdings nicht in alle Zimmer geschaut. Auch
die Polizei hatte nichts weiteres entdeckt. Die Polizei…
»Hier«, unterbrach Petra meine verworrenen Gedanken.
»Hier ist etwas Interessantes. Das Kloster Mariawald, unweit von
Heimbach, hat einen Kreuzgang, der früher einmal verglast
war.«
»Und wo sind die Fenster jetzt?«, fragte Lisa.
»Mal sehen – oh.« Petra verstummte.
»Na?«, fragte ich ungeduldig.
»Hier steht, dass sie jetzt im Besitz des Victoria &
Albert-Museums in London sind.«
»Na wunderbar«, seufzte Lisa. »Könnten es denn
tatsächlich die Fenster sein, die wir suchen?«
»Warte mal. Hier steht, dass die Fenster um 1500 von Adligen
und Bürgern gestiftet wurden.«
»Das Enchiridion stammt von 1560«, warf ich ein.
»Camerarius würde wohl nicht geschrieben haben, dass die
Fenster neu waren, wenn sie sich in Wirklichkeit schon sechzig Jahre
vor dem Erscheinen seines Buches in Mariawald befanden.«
»Stimmt«, pflichtete Lisa mir bei. »Es können
also nicht die richtigen Fenster sein.«
Petra zog die Stirn kraus. »Ihr habt wohl Recht. Hier gibt es
aber noch einen interessanten Verweis. Angeblich haben die Fenster
aus Mariawald ein ähnliches Schicksal erlitten wie die aus dem
Kloster Steinfeld.«
»Wo liegt denn das?«, wollte ich wissen.
»Es gehört zur Gemeinde Kall – im Norden«,
belehrte mich Petra. »Mal sehen, was darüber geschrieben
steht… Seite 129… Augenblick… Kreuzgang… hier!
Ich zitiere: ›Die wertvollen Kirchenfenster gelangten zum Teil
nach England.‹«
»Und von wann sind sie?«, fragte Lisa. Sie saß wie
gebannt in ihrem Sessel und schien nichts mehr um sich herum
wahrzunehmen.
»Das steht hier nicht«, murmelte Petra verdrossen.
»Warte… mal sehen, ob sie weiter hinten noch einmal
erwähnt werden… Ja, hier.« Sie setzte sich
kerzengerade auf. »Sie stammen aus der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts – und befinden sich heute ebenfalls in London,
mit der Ausnahme einer einzigen Scheibe, die noch in Steinfeld zu
besichtigen ist.«
»Die Entstehungsdaten sind etwas vage«, meinte ich.
»Lässt sich das nicht genauer sagen?«
»Ich kann mal nachsehen, ob Heiner etwas über das
Kloster Steinfeld hat«, sagte Petra und stand wieder auf.
»Glaubst du, dass wir es schon gefunden haben?«, fragte
ich Lisa, nur um
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