Somniferus
davon wissen.
Für ihn sind Sie der Mörder. Er wird nicht locker lassen.
Er sieht Ihre Flucht als Schuldeingeständnis an.«
Ich schluckte. So etwas hatte ich bereits vermutet. »In
diesem Fall sollten Sie nicht mehr bei mir bleiben«, meinte ich.
Diese Worte fielen mir sehr schwer. »Sie haben mit der ganzen
Sache nichts zu tun und dürfen sich nicht noch mehr
Schwierigkeiten einhandeln.« Meinte ich wirklich ernst, was ich
da sagte?
Lisa winkte ab. »Ich habe schon genug Schwierigkeiten. Wenn
ich Sie jetzt allein lasse, werde ich nie erfahren, warum mein Vater
gestorben ist. Ich bin es meinem alten Herrn schuldig, die
Hintergründe seines Todes in Erfahrung zu bringen. Ich kann
nicht mit der Ungewissheit leben, ob es Mord oder wirklich ein
bizarrer Selbstmord war.« Sie schluckte und ihre Augen bekamen
einen feuchten Glanz. Doch sofort hatte sie sich wieder in der
Gewalt. »Leider scheint das nicht mit der Polizei möglich
zu sein, sondern nur gegen sie.« Sie zuckte die Achseln.
»Ich habe es versucht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir
alle am selben Strang ziehen würden.«
»Wie sind Sie Deschemski entkommen? Hat er sie nicht
verfolgt?«, fragte ich Lisa.
Sie warf mir einen belustigten Blick zu. »Das hätte er
gern getan, aber er musste ja vor der Kirche Wache schieben und
darauf warten, dass Sie herauskommen.« Sie lachte kurz auf.
»Ich hoffe, er steht immer noch dort. Ich bin einfach gegangen.
Er hätte sich am liebsten zweigeteilt. Es war richtig drollig,
wie er mit sich kämpfte, weil er nicht wusste, ob er mir folgen
oder auf Sie warten sollte. Er hat mir fast Leid getan.«
»Wen haben Sie angerufen?«, wollte ich wissen. Die
Aussicht darauf, zusammen mit Lisa die Suche fortzuführen,
versetzte mich in wahre Hochstimmung.
»Petra Thienemann, eine Freundin von mir«, erklärte
sie flüsternd. »Sie wird uns von hier abholen.
Schließlich können Sie nicht zurück nach Manderscheid
gehen und ich komme ja nicht einmal an meinen Wagen, der noch in der
Nähe der Kanzlei steht. Bestimmt hat die Polizei das Kennzeichen
schon zur Fahndung ausgeschrieben. Seien Sie unbesorgt; Ich kenne
Petra seit Kindertagen. Sie wohnte früher ebenfalls in
Manderscheid, ist aber später nach Großlittgen gezogen.
Wir waren damals ein unschlagbares Gespann. Das ist leider schon
lange her… Ihr Mann ist der Bezirksförster.« Sie
verzog ihr Gesicht. »Ich weiß auch nicht, was sie an
diesem Waldschrat findet. Das Beste an ihm ist, dass er
augenblicklich für eine Woche auf einer Tagung in Mainz ist.
Petra hat also freie Bahn und kann uns wenigstens ein paar
Nächte lang bei sich wohnen lassen. So wie ich ihren Fahrstil
kenne, müsste sie bald hier sein. Haben Sie das Buch
noch?«
Ich hielt es ihr entgegen; sie nahm es wieder an sich. Groß
schien ihr Vertrauen in mich noch nicht zu sein.
Zehn Minuten später näherte sich ein Wagen auf der
anderen Fahrbahnseite. Er hielt und ich konnte deutlich sehen, wie
eine Frau ausstieg und sich umschaute.
»Das ist sie«, sagte Lisa und sprang aus dem
Gebüsch. Sie lief auf den Bürgersteig. Ich folgte ihr.
»Schneller«, trieb sie mich ungeduldig an. Die junge Frau
und Lisa begrüßten sich schnell mit einem Küsschen
auf die Wange. Ich erhielt nur einen abschätzigen Blick.
»Zack, zack, hinten rein«, kommandierte Lisa, hielt mir die
Beifahrertür auf und klappte den Sitz nach vorn. Gehorsam
quetschte ich mich auf die Rückbank.
Es war ein winziger, älterer Lancia und dementsprechend
unbequem saß ich. Lisa sprang auf den Beifahrersitz. Ihre
Freundin war bereits wieder eingestiegen. Sie ließ den Motor
aufheulen, drehte mitten auf der Straße und raste in Richtung
Manderscheid davon. In jeder Kurve wurde ich auf die eine oder andere
Seite geschleudert. Einmal musste die Fahrerin abrupt bremsen, weil
ein Reh auf der Straße stand, und sofort hing ich den beiden
Damen im Nacken. Ich hörte, wie Lisas Freundin ihr zuzischelte:
»Was ist denn das für ein Weichei?« Ich wurde wieder
einmal rot. Aber ich freute mich, dass Lisa keine Antwort darauf gab.
Man ist ja schon mit wenigem zufrieden.
Weder in Weiersbach noch in Bleckhausen bremste die rasante Frau
Thienemann ab. Zum Glück befanden sich keine Hunde, Katzen oder
Menschen auf der Fahrbahn.
Inzwischen hatte Lisa ihrer Freundin in groben Zügen unsere
Geschichte erzählt. »Lustig«, meinte Petra Thienemann
nur dazu. »Endlich mal was los hier. Aber ehrlich: Um deinen
Vater tut es mir furchtbar Leid.« Das war immerhin die
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