Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
sackte er zusammen und musste an den Sommertag denken, als er ihr zum letzten Mal begegnet war.
Er flatterte schon etwa eine Stunde über dem See, doch die Meerjungfrau ließ sich nicht blicken. Die Flügel taten ihm weh, der Gürtel, den er mit einigen seiner Orden bestückt hatte, wog immer schwerer, aber die Sehnsucht hielt ihn davon ab, ans Land zu fliegen und Kraft zu tanken. Da endlich sah er einen dunklen Fleck aus den Tiefen emportauchen. Das Wasser perlte über ihr makelloses Gesicht, als sie auftauchte. Sein ordengeschmückter Körper spiegelte sich in ihren Augen aus Opal. Das Herz pochte so stark, dass man das an seiner Hornissenbrust sehen konnte. Doch sein Lächeln wurde von ihr nicht erwidert. Sie grüßte freundlich, aber da war ihre Seele nicht in den Worten zu spüren. Keine Freude. Nur Distanz. Kalte, elende Distanz. Das war der Dank, dass er sie schon so reich beschenkt hatte und dafür, dass er sie für ihren Gesang heiß und innig liebte? Sie schwamm auf die Felswand zu, dort, wo sich knapp über der Wasseroberfläche ihre Höhle befand. Sie zog ihren zierlichen Körper aus dem Wasser und dort hinein. Durch das Zappeln mit ihrer Flosse verlor sie einige Schuppen. Uldin folgte ihr und landete am Höhlenrand. Sie kroch einige Meter von ihm weg, dann warf sie einen Blick über ihre Schulter zu ihm. Sie wirkte angespannt, verkrampft.
»Aber was ist, meine Schöne?«, fragte er, sammelte ihre Schuppen ein und klemmte sie hinter die Orden. Erinnerungsstücke, die ihm helfen würden, die Sehnsucht zu überbrücken, wenn er allein war.
Sie robbte weiter in die Höhle. »Ich hab doch darum gebeten, dass du mich in Ruhe lassen sollst.«
Er folgte ihr. »Mazelina«, rief er. »Warte doch.« Als sie nicht reagierte und er sie endlich erreicht hatte, packte er sie an ihrer Flosse. Er wollte doch nur mit ihr reden, die Zeit vergolden, die er so lange auf sie gewartet hatte, und dass sie vielleicht für ihn singen würde. Sie drehte sich um, hielt plötzlich ein Messer in der Hand und wischte nach ihm. Erschrocken wich er zurück, irritiert über ihre Tat und sah an sich hinab, ob sie ihn erwischt hatte und Blut aus dem goldgelben Bauch quoll. Ein Orden – ursprünglich mit Grasriemen an seinem Gürtel befestigt – drehte auf dem Steinboden aus. Er war nicht verletzt, trotzdem stieg eine Wut hoch, die seine Vorderbeine zittern ließ.
»Wie du meinst«, murmelte er und drehte ihr den Rücken zu. »Dann lass ich dich eben in Ruhe.« Zumindest sollte sie das glauben und sich in Sicherheit wähnen.
Er krabbelte aus der Höhle, flog hoch zur Wiese, dem ehemaligen Flussbett und konzentrierte sich auf seine Rache. Die Sonne stand flirrend am Himmel, es war kein Wölkchen in der Nähe. Wie sehr er es hasste, bei Tage anzugreifen, aber die Schmach musste abgegolten werden. Sofort! Aus der Ferne näherten sich Schritte. Ein junger Haariger, er warf Steine in die Luft, und daneben schlenderte ein Glatzköpfler gleichen Alters. Er hatte noch keinen Flaum am Kinn.
Uldin ließ sich fallen. Würden ihn die Kleinen sehen, müssten sie sterben. Er vermied Flügelschläge. Mazelina sollte nicht von verräterischen Geräuschen vorgewarnt werden. Er war sicher, sie mit einem simplen Überraschungsangriff zu überlisten, schließlich verfügten Meerjungfrauen über keinerlei Kriegserfahrung. Als er in die Höhle und auf sie stürzte, war sie anscheinend in Melancholie versunken. Er stach mit dem Stachel in ihren Bauch und lähmte sie mit dem Gift, noch bevor sie sich wehren konnte. Das Messer glitt ihr aus der steifen Hand. Dann lag sie da, wehrlos und ihm ausgeliefert. Nur schade, dass ihr kein Wort entwich und lediglich Bläschen aus dem rotlippigen Mund blubberten. Der Hunger war groß. Er war immer groß, wenn Uldin wütend war. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sie zu fressen, aber dann hätte er sein Leben lang ihre Schönheit nicht aus dem Kopf bekommen. Er betrachtete sie eine Weile, ließ sich wieder einmal verzaubern, und seine Wut schwand der Lust, sie zu berühren. Langsam krabbelte er näher. Es tat ihm leid, sie gestochen zu haben.
»Verzeih mir, Liebes«, hauchte er. »Ich wollte dir nicht wehtun. Es war nur ein Impuls. Verzeih mir bitte.« Er beugte sich über ihre Brust, die sich hob und senkte, und leckte einen ihrer Busen. Wie betörend sie roch. Wie lieblich ihre Haut schmeckte. Er war glückselig, in seinem Bauch hummelten Bienchengefühle und für einen Moment vergaß er, dass sie mit dem Messer
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