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heute manchmal dieses Gefühl. Ein Radfahrer, der klingelte, schreckte ihn aus seinen Gedanken, er konnte gerade noch zur Seite springen. Langsam taten ihm die Füße weh. Es war wahrscheinlich doch keine so gute Idee, die ganze Strecke zu laufen. Zurück würde er ein Taxi nehmen.
Mit schmerzenden Füßen überquerte er die Fahrbahn und nahm das letzte Drittel der Strecke in Angriff. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, doch irgendwann traf er doch am Krankenhaus ein. Auf dem großen Schaurelief kämpfte Herakles noch immer gegen die Hydra, doch diesmal blickte Kröger hinauf. Ihm ging es ähnlich wie dem mythologischen Helden: Wenn er einen Kopf abschlug, wuchs sofort ein neuer nach.
Er strebte zu dem kleinen Anbau, an dem ein Schild auf die Rechtsmedizin hinwies, und atmete noch einmal tief durch, dann betrat er das Gebäude.
Dr. Hüpenbecker empfing ihn mit einer Flasche Mineralwasser in der Hand.
»Auch eine?« Er deutete auf seine Flasche.
Kröger merkte erst jetzt, wie durstig er war. Dankbar nickte er. Dr. Hüpenbecker reichte ihm eine Flasche und einen Öffner.
»Brauchst du ein Glas?«
Kröger schüttelte den Kopf.
»Prolet!«
Kröger trank gierig, rülpste und meinte: »Selber!«
Der Gerichtsmediziner lachte, stellte die Flasche ab und wurde ernst.
»Wollen wir?«
» Wollen ist gut«, murmelte Kröger und folgte dem Arzt. Im Obduktionsraum streifte er sich ein Paar OP-Handschuhe über und gab auch Kröger welche.
Über einem der Tische, welche aus rostfreiem Stahl gefertigt waren, lag ein grünes Tuch. Darunter zeichneten sich die Konturen eines Menschen ab.
Die beiden traten an diesen Tisch und Dr. Hüpenbecker fragte: »Können wir?«
Als Kröger nickte, zog der Arzt das Tuch von der Leiche.
Ewa war nackt, den Kopf auf einer kleinen Stütze, die Augen geschlossen, man sah deutlich den Y-Schnitt.
»Größe, Alter und so weiter sind euch ja bekannt. Richtig?«
Wieder nickte Kröger.
»Deswegen von mir das Wichtigste sozusagen im Schnelldurchlauf! Die Frau war kerngesund. Gestorben ist sie an einer Asphyxie. Der Adrenalingehalt des Blutes ist eindeutig zu hoch. Du siehst«, er zeigte auf den Hals, »hier Würgemale und kleine Einrisse, die wahrscheinlich von den Fingernägeln des Täters stammen. Er hat mehrmals angesetzt. Das große Hämatom auf der Brust stammt vermutlich von seinem Knie. Er hat sie niedergerungen und dann mit dem Knie fixiert.«
Kröger stieß die Luft aus den Lungen. »Du sprachst von Asphyxie. Dieser Tod ist doch von Todesangst geprägt, oder irre ich mich?«
»Nein, du irrst dich nicht. Tut mir leid, dass gerade ich dir das sagen muss. Aber sie hat sich heftig gewehrt. Wer immer sie ermordet hat, erntete zahlreiche Kratzer.«
Er nahm eine der Hände der Toten. »Schau! Teilweise sind die Fingernägel abgebrochen. Sie hat wie eine Löwin um ihr Leben gekämpft. Ich fand auch Haut- und Gewebepartikel unter ihren Nägeln.«
»Wann liegen euch die Ergebnisse vor?«
»Ha, kleiner Finger und ganze Hand, sage ich nur. Ein wenig Geduld, Horst, bitte. Zur Blutgruppe kann ich dir aber schon etwas sagen. Das Opfer hat Blutgruppe 0 und der Täter hat Blutgruppe A.«
»Na toll! Die häufigste hat der Täter. Wie soll mir das weiterhelfen?«
»Warte ab, Horst! Die Blutgruppe ist ja nur ein Teil der Unterscheidungsmerkmale. Dann haben wir noch den Rhesusfaktor und das Kellsystem, und Letzteres – das ist es!«
»Was?«
»Der Täter ist reinerbig Kell-positiv, und das sind nur 0,2 Prozent aller Menschen!«
»Wie? Ich verstehe kein Wort.«
»Das Kellsystem ist das drittwichtigste System bei der Blutgruppenbestimmung. Und der Täter gehört zu den 0,2 Prozent der Bevölkerung mit einem reinerbigen positiven Faktor.«
»Okay. Und was kannst du mir zur Tatzeit sagen?«
»Da würde ich dir Freitag nennen, so zwischen 17 und 18 Uhr. Wobei ich mich da auf die Messungen meines Kollegen vom Freitag verlassen muss.«
»Wo ist der überhaupt? Am Freitag ganz in Eile und heute gar nicht da?«
»Krank ist er! Hat sich wohl eine Sommergrippe eingefangen.«
»Du sagtest vorhin, der Täter hat mehrmals angesetzt. Kann ich das wörtlich nehmen?«
Dr. Hüpenbecker nickte. »Davon geh mal ruhig aus. Ist zwar nicht ganz offiziell, aber unter uns Sportsfreunden … Es spricht alles für einen Mann. Ich habe die Würgemale vermessen und die Handgröße sowie die aufgewendete Kraft sprechen für einen Mann.«
»War’s das?« Kröger vermied es schon eine Zeit lang, auf Ewa
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