Sonea - Die Heilerin: Roman
dass Lilia sie von ihrem Vater befreien möge, was sie jetzt bereut.«
»Wie können die beiden so unterschiedliche Erinnerungen haben?«, fragte Peakin.
»Sie haben beide jeweils vieles an Erwartungen in den anderen hineinprojiziert«, antwortete Sonea. »Sie haben die Motive und Wünsche des anderen missverstanden. Beide Mädchen dachten, die andere dränge sie dazu, schwarze Magie auszuprobieren, und dass sie, wenn sie sich weigerte, für schwach und langweilig gehalten werden würde.« Einmal mehr zögerte Sonea, die Schwärmerei zu enthüllen, die Lilia für Naki hegte. Sie hatte als Kind in den ehemaligen Hüttenvierteln gelernt, dass sich solche Bande auf natürliche Weise sowohl zwischen Männern als auch zwischen Frauen bilden konnten. Sie sah darin keinen größeren Schaden als in einer Liebesbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Aber sie wusste, dass viele anderer Meinung waren, und es stimmte, dass nicht alle Schwärmereien, ungeachtet des Geschlechts, für die Betroffenen zum Besten waren. Obwohl Lilias Gefühle einseitig gewesen waren, hatte Naki sie offenkundig ermutigt. Es war anscheinend Teil ihrer verwegenen, vergnügungssüchtigen Abenteuer gewesen.
Lady Vinara seufzte. »Ah, junge Menschen können solche Narren sein.«
Wie wahr das ist, dachte Sonea. Aber dies ist eine private Angelegenheit, und es ist noch nicht wichtig für die begangenen Verbrechen. Es wäre grausam, es zu enthüllen.
»Wir haben ihnen gesagt, dass sie aus Büchern keine schwarze Magie erlernen könnten«, rief Direktor Jerrik ihnen ins Gedächtnis. »Allerdings haben wir ihnen außerdem verboten, Bücher zu diesem Thema zu lesen. Aber das muss es für bestimmte Personen umso verführerischer machen. Es muss manchem als eine relativ ›sichere‹ Art erschienen sein, den Regeln zu trotzen, ohne gleich aufs Ganze zu gehen.«
»Wir haben uns geirrt«, erklärte Garrel und machte sogar den Eindruck, als bedauere er das, wie Sonea auffiel.
»Ja, wir sind zum Teil mitschuldig«, sagte Osen. »Was die Entscheidung noch schwerer machen wird, wie wir mit Naki und Lilia verfahren sollen.«
Sonea sah viele der Anwesenden zustimmend nicken.
»Ich denke nicht, dass irgendjemand uns für pflichtvergessen halten würde, wenn wir eine mildere Strafe wählen, als die alten Vorschriften sie vorschreiben«, meldete Vinara sich zu Wort.
Diesmal nickten alle. Zwei Novizinnen dafür hinzurichten, dass sie mit etwas herumgespielt haben, von dem wir ihnen erklärt hatten, es sei ungefährlich, würde jetzt große Empörung verursachen, überlegte Sonea. Wie sehr sich die Einstellung schwarzer Magie gegenüber doch verändert hat.
»Naki hat keine schwarze Magie erlernt«, sagte Peakin. »Sie kann nicht für den Tod ihres Vaters verantwortlich sein. Sie sollte eine mildere Strafe erhalten.«
Wieder nickten etliche Anwesende zustimmend. In Sonea stieg ein leichtes Unbehagen auf. Die beiden Mädchen hatten sich in gleichem Maße schuldig gemacht, soweit es sie betraf. Es gab keinen Beweis dafür, dass Lilia Lord Leiden getötet hatte. Das einzige beweisbare Verbrechen bestand darin, dass sie versucht hatten, schwarze Magie zu erlernen. Dass Lilia dabei Erfolg gehabt hatte, war ein bedauerliches Ergebnis, aber kein vorsätzliches von ihrer Seite.
Waren hier Vorurteile im Spiel? Naki entstammte der Oberklasse; Lilia kam aus einer Familie von Dienstboten. Naki war hübsch und beliebt; Lilia war still und hatte wenig Freunde.
»Die Strafe muss schwer genug sein, um andere Novizen davon abzuhalten zu versuchen, schwarze Magie zu erlernen«, fügte Vinara hinzu.
»Ich schlage vor, dass wir Nakis Abschluss hinauszögern«, sagte Direktor Jerrik. »Sie hat ihren Vater verloren. Das ist schmerzlich genug. Außerdem muss sie mit der plötzlichen Verantwortung fertig werden, die einzige Erbin des Vermögens ihrer Familie zu sein. Sie wird in ihren Studien wahrscheinlich ohnehin zurückfallen.«
»Sie sollte sich öffentlich entschuldigen«, warf Garrel ein. »Und ihre Rückkehr an die Universität sollte davon abhängig gemacht werden, dass sie kein weiteres Verbrechen begeht.«
»Wie lange sollten wir ihren Abschluss verzögern?«, fragte Osen.
»Ein Jahr?«, schlug Jerrik vor.
»Drei«, sagte Vinara entschieden. »Die Strafe soll ein Abschreckungsmittel sein, kein Urlaub.«
»Irgendwelche Einwände oder Vorschläge?«, fragte Osen. Niemand sprach. Er nickte. »Was ist mit Lilias Strafe?«
»Das hängt davon ab, ob sie Lord Leiden
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