Sonea - Die Heilerin: Roman
Zeugen dieser Ereignisse gehört«, dröhnte eine männliche Stimme. Lilia schaute auf und sah, dass der in eine blaue Robe gekleidete Administrator in der Mitte der Stirnseite stand. Sie hatte so konzentriert zu Boden geblickt, dass sie ihn dort nicht bemerkt hatte. »Ihr habt gehört, was Schwarzmagierin Sonea in den Gedanken der beiden jungen Frauen gefunden hat, die vor uns stehen. Jetzt lasst uns hören, was sie zu sagen haben. Lady Naki.«
Ein Schauer überlief Lilia, und als sie Osens Blick folgte, sah sie, dass Naki nur etwa zehn Schritte von ihr entfernt stand, auf der von ihr aus linken Seite des Raums. Ihr wurde beim Anblick des vertrauten, schönen Gesichts leichter ums Herz, aber dieses Gefühl flaute schnell wieder ab und machte einem Schmerz Platz, der Lilia den Atem stocken ließ.
»Ja, Administrator Osen«, erwiderte Naki gelassen und ein wenig kalt. Sie stand mit durchgedrücktem Rücken und hoch erhobenem Kopf da. Unter ihren roten Augen lagen dunkle Ringe. Sie wirkt stark, aber auch wie jemand, der jeden Moment zusammenbrechen könnte, ging es Lilia durch den Kopf. Wie wirke ich, mit vorgebeugten Schultern und außerstande, irgendjemanden anzusehen? Ich muss so schuldig wirken, wie sie es mir unterstellen.
Naki erzählte ihre Geschichte. Bei jedem Wort wurde Lilia ein wenig kälter, bis sie bis ins Mark fror. Aber sie war diejenige, die das Buch lesen und schwarze Magie ausprobieren wollte! Es war allein ihre Idee! Als Naki beschrieb, wie sie den Leichnam ihres Vaters gefunden hatte, drehte sie sich um und funkelte Lilia an.
»Sie hat ihn getötet. Wer hätte es sonst sein können? Sie muss aus dem Buch gelernt haben. Vielleicht beherrschte sie schon schwarze Magie.« Nakis Gesicht zerfiel, und sie bedeckte es mit den Händen. »Warum? Warum hast du es getan?«
Lilia wollte vor Mitleid fast das Herz zerspringen. »Ich habe es nicht getan, Naki. Ich …«, begann Lilia, aber Osen sah sie stirnrunzelnd an, und sie schluckte die Worte herunter.
Nach einer Pause, während Naki ihre Fassung wiederfand, befragten die Höheren Magier sie, aber Lilia schien es, als erwarteten sie, nicht mehr zu erfahren, als man ihnen bereits erzählt hatte. Osen wandte sich Lilia zu, und sie holte tief Luft und hoffte, dass ihre Stimme fest bleiben würde.
»Lady Lilia«, sagte er. »Berichtet uns, was in der Nacht geschah, in der Ihr Euch in Lady Nakis Haus aufgehalten habt.«
Sie versuchte zu erklären, aber wann immer sie etwas beschrieb, das sich von Nakis Schilderung unterschied, gab das andere Mädchen leise Laute des Abscheus oder des Protests von sich, und Lilia sprach hastig weiter. Erst als sie das Thema des Buches hinter sich ließ, wurde Lilia bewusst, dass sie hätte erwähnen sollen, dass Naki es ihr schon früher gezeigt hatte, aber es schien ihr in dem Moment die Mühe nicht wert zu sein, noch einmal zu dem Punkt zurückzukehren und diese Einzelheit hinzuzufügen. Als Osen sie nach dem Blut auf ihren Händen fragte, fiel ihr plötzlich wieder ein, dass sie gespürt hatte, wie Naki Macht von ihr nahm, aber als sie versuchte, es Osen zu erzählen, wertete er es als eine Bemühung, die Aufmerksamkeit von dem Blut abzulenken. Schließlich wurden seine Fragen direkter.
»Habt Ihr versucht, schwarze Magie zu erlernen?«
»Ja«, antwortete sie und spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
»Hattet Ihr Erfolg?«
»Ja«, stieß sie gezwungen hervor. »Zumindest sagt das Schwarzmagierin Sonea …«
»Habt Ihr Lord Leiden getötet?«
»Nein.«
Er nickte und sah die Höheren Magier an, und Lilia wappnete sich gegen ihre Fragen. Sie hatten mehr Fragen an sie als an Naki. Als die Tortur vorüber war und Osen seine Aufmerksamkeit endlich auf den Rest der Halle richtete, verspürte sie eine ungeheure Erleichterung.
»Wir haben nicht genug Beweise, um irgendjemanden wegen der Ermordung Lord Leidens anzuklagen«, sagte er. »Obwohl die Nachforschungen dazu keineswegs beendet sind. Es wurden jedoch zwei Verbrechen zugegeben: der Versuch, schwarze Magie zu erlernen, und das Erlernen von schwarzer Magie. Die Hohen Magier haben über die geziemenden Strafen für diese Verbrechen entschieden und dabei das Alter der Angeklagten und die Absicht hinter ihren Taten berücksichtigt.« Er hielt inne. »Die Strafe für Lady Naki, die zugibt, versucht zu haben, schwarze Magie zu erlernen, jedoch keinen Erfolg hatte, ist ein dreijähriger Ausschluss von der Universität, nachdem ihre Kräfte blockiert wurden. Nach Ablauf
Weitere Kostenlose Bücher