Sonne über Wahi-Koura
Wehmut, die in den Worten der Alten mitschwang. Die Stadt barg viele Gefahren für junge Leute, die ihr bisheriges Leben nur hier verbracht hatten. Außerdem bedeutete das Aufgeben der Traditionen den Verlust der eigenen Kultur. Ihr würde es auch nicht gefallen, sollte Laura sich einmal von allen Werten und Gepflogenheiten abkehren, die ihrer Mutter etwas bedeuteten.
»Aber nicht reden von traurige Dinge. Reden wir von tamahine. Welchen Namen du ihr gegeben?«
»Laura«, antwortete Helena.
»Und was bedeuten in deiner Sprache?«
Helena zog überrascht die Augenbrauen hoch und blickte hilfesuchend zu Zane, der aber ebenfalls ratlos wirkte.
»Ich habe darüber noch gar nicht nachgedacht. Ich habe sie nach meinem Mann benannt, Laurent. Der Name soll sie an ihren Vater erinnern.«
»Du solltest kennen Bedeutung von Name. Nicht, dass Bedeutung schlecht.«
»Der Name bedeutet bestimmt nichts Schlechtes«, meinte Helena. »Viele Frauen in Europa heißen so.«
Ahorangi schien aber immer noch nicht zufrieden zu sein. »Wir tamahine nennen wollen ›Ahurewa‹. Das heißt ›heiliger Platz‹. Du einverstanden mit Name?«
Helena war überrascht. Ein Maori-Name für mein Kind? Aber vielleicht war das ja selbstverständlich für die Nachfahrin einer Maori ... »Ich bin einverstanden und fühle mich geehrt«, sagte sie schließlich und neigte den Kopf.
Die Heilerin erwiderte die Geste mit einem glücklichen Lächeln.
Die Sonne stand schon tief am Himmel, als Zane und Helena sich auf den Heimweg machten. Helena fühlte sich wie verwandelt. Für ein paar Stunden hatte sie all ihre Sorgen vergessen, denn die tohunga hatte sie mit Geschichten ihres Volkes und aus ihrer Jugend so gut unterhalten, dass die Zeit im Nu vergangen war.
Beschwingt wanderte Helena neben Zane, der völlig versunken zu sein schien. Nur das Knacken der Äste unter ihren Füßen und das Flattern und Gezwitscher von Vögeln waren zu hören. Ob er über das nachdachte, was die tohunga am Ende des Besuchs geäußert hatte?
»Frau braucht tane«, hatte sie Helena erklärt, und der war aufgegangen, dass damit ein Ehemann gemeint war. »Mann braucht wahine. Menschen nicht gemacht für leben allein.« Dabei hatte die Heilerin eindringlich Zane angeschaut.
Dass er errötet war, brachte Helena nachträglich zum Schmunzeln. Dabei musste sie sich eingestehen, dass sie selbst peinlich berührt gewesen war.
»Was die Worte der Heilerin angeht ...«, begann sie zögerlich.
Zane schreckte aus seinen Gedanken auf. »Sie meinen die Geschichte von den Nebelgeistern?«
»Nein, die andere Sache.« Helena spürte plötzlich, dass ihre Hände feucht wurden.
»Oh, ja, das.« Zane klang heiser. »Sie werden bestimmt nicht allein bleiben, Helena. Aber vielleicht sollten Sie sich noch Zeit lassen. Die Männer werden sich noch früh genug um Sie reißen. Immerhin gehören Sie zu einer der angesehensten Familien in der Hawke's Bay.«
Helena biss sich auf die Lippen. Das war nicht gerade das, was sie hatte hören wollen. Zählte denn nur das Ansehen? Konnte er ihr nicht mal ein Kompliment machen? »Ich glaube kaum, dass ich einen erhören würde, der mich wegen der Reputation meiner Familie will«, erklärte sie schnippisch, blieb unvermittelt stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
Aber als sie Zane ansah, schämte sie sich sofort für ihren Ton. Sein Blick war scheu, doch er floss über vor Liebe. Helena war wie vom Blitz getroffen. Verlegen wandte sie sich ab. Was sollte sie nur tun? Tränen der Rührung traten ihr in die Augen.
»Helena, was ist denn? Bitte weinen Sie nicht!« Zane legte behutsam eine Hand auf ihren Arm.
Helena zitterte plötzlich. Seine Berührung hatte ein grenzenloses Begehren in ihr geweckt. »Ich habe bereits jemanden gefunden, Zane, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte«, raunte sie kaum hörbar. »Wenn er nur will.«
Zane glaubte zu träumen. Hatte er sich verhört? Er schaute Helena fragend an.
Als sie ihm ein zärtliches Lächeln schenkte, zog er sie leidenschaftlich in seine Arme.
Helena spürte seinen Kuss auf den Lippen, und die Welt um sie herum begann sich zu drehen. Schwindelig war ihr vor Glück. Dennoch stieg ein unbeschreibliches Gefühl der Geborgenheit in ihr auf, und die Gewissheit, dass alles gut werden würde, erfüllte sie mit Ruhe. Als ihr bewusst geworden war, was gerade passiert war, wanderten ihre Gedanken unwillkürlich zu ihrer ersten großen Liebe, Laurent.
»Du weißt gar nicht, wie
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