Sonne über Wahi-Koura
zuvor die Taufe an der Braut vollzogen wurde«, las sie laut vor. »Als Zeugen waren anwesend Mister John Henderstone und Mister Barnaby Grimes.«
»Das ist es!«, platzte Zane heraus.
Der Reverend lächelte mild. »Offenbar konnte ich Ihnen helfen.«
»Und ob Sie das konnten!«, rief Helena begeistert. »Dieses Dokument ist sehr wertvoll für uns.«
»Es war sehr mutig von Mister de Mareille, eine Maori zu heiraten. Die Einheimischen waren damals noch wesentlich rauer, und ein Mann, der eine der ihren heiraten wollte, musste seinen Mut und seine Ehre vor dem Häuptling beweisen.«
»Der Großvater meiner Schwiegermutter muss beides besessen haben«, sagte Helena, während sie erneut das Papier betrachtete.
»Wenn Sie möchten, mache ich Ihnen rasch eine Abschrift. Sie werden verstehen, dass ich solch ein wertvolles Dokument nicht aus der Hand geben darf.«
»Natürlich verstehe ich das«, antwortete Helena überglücklich. »Die Abschrift und Ihre Beglaubigung reichen vollkommen aus.«
»Wir sollten Mister Reed aufsuchen«, schlug Helena vor, als sie das Pfarrhaus hinter sich gelassen hatten. Die Abschrift des Dokuments steckte in einem grauen Umschlag, den Helena so fest hielt, als hinge ihr Leben davon ab.
»Den Anwalt von Madame?«, wunderte sich Zane.
»Ja, er kann Louises Anspruch vielleicht rechtlich absichern.«
»Mit Hilfe der Heiratsurkunde?«
»Genau! Louises Großmutter war die Tochter eines Häuptlings. In Europa stehen auch Frauen in der Thronfolge. Wenn die Maori das ähnlich halten, hat Louise möglicherweise Anspruch auf die Führung des Stammes. Und damit auch auf das Land.«
»Ich habe noch nie von einem weiblichen ariki gehört.«
»Das tut nichts zur Sache.«
Zane bot Helena den Arm an. »Dann gehen wir!«
Die Kanzlei von Jonathan Reed flößte Besuchern Respekt ein. Das zweistöckige Gebäude war prächtig verziert, der überdachte Eingang ruhte auf hohen Säulen. Reeds Name und Beruf prangten auf einem blank polierten Messingschild.
»Warst du jemals hier?«, fragte Helena, während sie zu den Marmorstatuen aufblickte, die Nischen zwischen den Fenstern zierten. Sie schienen griechische Göttinnen darzustellen. Helena erkannte Athene mit ihrer Eule, die Siegesgöttin Nike und Themis, die Göttin der Gerechtigkeit. Reed besaß offensichtlich eine Schwäche für die Mythologie.
»Glücklicherweise habe ich Mister Reeds Dienste noch nie gebraucht«, antwortete Zane. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich lieber draußen warten.«
»Ist gut.« Mit dem Umschlag unter dem Arm erklomm sie die Treppe und läutete.
Wenig später bat ein junger Mann sie herein. Seine schwarzen Ärmelschoner deuteten darauf hin, dass er einer von Reeds Sekretären war.
Nachdem Helena ihm kurz geschildert hatte, warum sie den Anwalt zu sprechen wünsche, bat er sie herein. Sie nahm auf einem der samtüberzogenen Stühle im Wartezimmer Platz und sah sich um. Der Anwalt ihrer Familie hatte nur eine sehr bescheidene Kanzlei gehabt. Ein Schauer überlief Helena, wenn sie an ihren letzten Besuch dort dachte. Damals hatte sie erfahren, dass ihr Gut nicht mehr zu retten war.
»Mistress de Villiers?«
Jonathan Reed verneigte sich und gab ihr einen Handkuss. »Was verschafft mir das Vergnügen? Hoffentlich kein trauriger Anlass?«
Woher weiß er das? Helena ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken.
»Nein, Mister Reed. Eine Familienangelegenheit.«
»In der Stadt kursiert das Gerücht, Ihre Schwiegermutter wäre zusammengebrochen.«
»Das stimmt, aber sie hat lediglich einen Schwächeanfall erlitten. In ein paar Wochen wird sie wieder auf den Beinen sein.«
»Das zu hören erleichtert mich ungemein.« Reed führte Helena in sein Sprechzimmer. »Ich habe Ihre Schwiegermutter zuletzt beim Prozess gegen Joe Aroa gesehen und mir große Sorgen gemacht, als mir das Gerede der Leute zu Ohren kam.«
Diese verdammten Abstinenzler!, dachte Helena zornig. Wahrscheinlich haben sie die Nachricht sofort verbreitet.
»Mir ist auch zu Ohren gekommen, dass Sie inzwischen eine hübsche kleine Tochter haben«, setzte er hinzu, nachdem er Helena einen Platz auf einem der bequemen Ledersessel angeboten hatte. »Meine herzlichen Glückwünsche!«
»Vielen Dank, Mister Reed, das ist sehr freundlich.«
»Nun, worum geht es denn bei Ihrer Familienangelegenheit?«
Helena legte den Umschlag auf den Tisch. »Sind Sie in den Streit zwischen meiner Schwiegermutter und den Abstinenzlern eingeweiht?«
Reed nickte. »Aus
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