Sonne über Wahi-Koura
ist schwer zu sagen. Sie hat mir den Grund ihrer Abwesenheit nicht genannt, doch es ist anzunehmen, dass sie sich mit Geschäftspartnern trifft. Gegen Abend wird sie gewiss wieder hier sein.«
»Und eine Nachricht für mich hat sie nicht hinterlassen?«
»Nein, bedaure.«
»Ist gut. Haben Sie vielen Dank.« Helena versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen, indem sie davonlief.
»Wenn ich doch noch etwas tun kann ...«, tönte es hinter ihr her, doch bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, bog sie um die Ecke.
»Ich hätte es wissen sollen«, murmelte sie leise vor sich hin und kühlte die glühenden Wangen mit den eiskalten Fingern. »Sie hat offensichtlich keinerlei Interesse, mich näher kennenzulernen.«
In der Eingangshalle blieb Helena stehen. Sie wollte sich nicht in ihr Zimmer zurückziehen, wo sie sich nutzlos und gefangen fühlte. Durch ein Fenster beobachtete sie Männer, die mit dem Schrubben und Schwefeln von Fässern beschäftigt waren. Eine Knochenarbeit, denn der Weinstein ließ sich nicht leicht entfernen. Drei bis fünf Mal nur konnte ein Fass belegt werden, bevor man es ausmustern musste. Ob Louise wohl eine eigene Küferei hatte? Soweit Helena es von weitem beurteilen konnte, waren die Bottiche sehr gut gearbeitet.
Schließlich wurde sie auf einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann aufmerksam, der einen Werkzeugkasten in den Schuppen neben dem Herrenhaus schleppte. Ölflecke verunzierten seine Hose, seine Schuhe waren staubig. Ob dort die Presse steht?, fragte sich Helena, während sie den Hals reckte. Zu gern hätte sie mitgearbeitet. Selbst Fässer hätte sie jetzt geschrubbt, ohne zu murren.
Worauf warte ich eigentlich?, dachte sie schließlich. Ich brauche niemanden, der mir alles erklärt. Ich werde mir alles allein ansehen.
Schon stand sie im Hof.
Die Luft hatte sich erwärmt und war erfüllt von dem Geruch nach Maschinenöl und Schwefel. Obwohl sie sich so unauffällig wie möglich umschaute, zog sie sogleich die Blicke der Arbeiter auf sich. Helena grüßte sie lächelnd und schritt forsch zu dem Schuppen, in dem der Handwerker verschwunden war.
Ihre Vermutung, dass sich dort die Vorrichtungen zum Pressen und Gären befanden, bestätigte sich. Ein säuerliches Aroma überlagerte hier alle anderen Gerüche. Traubenmost. Es war in die Wände und das Holz der Fässer eingezogen.
Fasziniert betrachtete Helena die hohen Kessel an der Wand. Die Zentrifuge stand still. Zwei riesige Holzbottiche standen bereit, um den Most zur Gärung aufzunehmen. Die zahnradbetriebene Presse war größer und schwerer als die Presse auf Gut Lilienstein. Und auch älter. Helena schätzte, dass sie noch vor der Jahrhundertwende installiert worden war.
Drei Männer scharten sich um die riesige Kelter. Der Handwerker zog seinen Kasten auf und wandte sich der offen stehenden Maschinenklappe zu. Ein metallisches Geräusch ertönte, dann griff er nach einem Schraubenschlüssel.
Eigentlich hatte Helena nur stumm zuschauen wollen, aber alle Männer starrten sie an.
»Guten Morgen, messieurs, ich bin Helena de Villiers«, erklärte sie auf Französisch. »Ich wollte Sie nicht stören. Nur ein wenig zusehen, wenn Sie gestatten.«
Die Arbeiter wechselten verwunderte Blicke. »Sie sind die Schwiegertochter von Mistress de Villiers!«, sagte der Techniker. Sein Französisch war noch akzentbehafteter als ihres.
Helena nickte. »Ja, die bin ich. Ich drehe gerade eine Runde, um mich mit allem vertraut zu machen.«
»Paul Walker, angenehm. Das sind Yves Leduc und Jean Michelot.« Er wies auf den Blonden und den Rothaarigen neben sich.
»Haben Sie Schwierigkeiten mit der Presse?«
»Nein, das ist nur die übliche Wartung vor der Lese. Allerdings lief sie schon im vergangenen Jahr nicht mehr ganz rund; früher oder später muss das alte Mädchen wohl ausgetauscht werden. Solange wir sie aber noch selbst reparieren können, tun wir das.«
»Wie viele Jahre hat das gute Stück denn schon auf dem Buckel?«
»Fünfzig!«, antwortete Walker stolz. »Madame de Villiers' Vater hat sie angeschafft, kurz nachdem sie auf den Markt gekommen war. Sie wurde mit einem Schiff aus Frankreich gebracht. Der Maître hätte auch eine aus England kriegen können, aber die wollte er nicht. Jedenfalls erzählt man sich das. Miterlebt hab ich's nicht, ich arbeite erst seit zehn Jahren hier.«
Für das Alter ist die Maschine sehr gut gewartet. Besser als die Kutsche, spottete Helena im Stillen. »Sie alle leisten sehr gute Arbeit,
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