Sonne über Wahi-Koura
ein wenig herumfahren, um beim Anblick der bezaubernden Landschaft Frieden zu finden. Der Gedanke an ihre Schwiegertochter ließ sich allerdings weder durch den Anblick der grünen Hügel noch durch den frischen Duft der taubedeckten Wiesen vertreiben. Nicht mal die goldene Sonne und das Rauschen des nahen Wairoa River vermochten das.
Wie hatte Laurent diese Person nur heiraten können! Eine Frau, die nicht mal imstande war, ihr Geschäft zu führen ...
Louise seufzte schwer. Natürlich hatte sie es sich selbst zuzuschreiben, dass Helena hier war. Eine Ablehnung des Hilfegesuchs hatte ihr Gewissen nicht zugelassen. Laurent war tot. Sein einziges Erbe war das Kind, das Helena trug. Wenn ihm etwas zustieß, würden die De Villiers aussterben - und damit wäre alles vergeblich, wofür sie und ihre Vorfahren hart gearbeitet hatten. Also hatte sie zum Federhalter gegriffen.
Sie bezweifelte, dass sie sich je mit Helena anfreunden könnte. Die Enttäuschung über Laurents Flucht saß einfach zu tief. Eine deutsche Winzerin!, dachte Louise bitter. Laurent hat genau in die Welt eingeheiratet, vor der er geflohen ist.
Auf ihr erbostes Schnaufen hin wandte Didier sich um. Ihm entging nichts trotz des Lärms, den die Kutsche machte.
»Alles in Ordnung, Madame? Das Schaukeln ist gleich vorbei, da vorn wird die Straße besser.«
»Mein Unmut kommt nicht von dem schlechten Weg, Didier. Ich war nur in Gedanken.«
Der Kutscher blickte wieder nach vorn.
Louise bemühte sich, Helena zu vergessen. Es gab noch ein leidiges Thema, das sie seit Monaten beschäftigte.
Die jüngsten politischen Entwicklungen waren überaus beunruhigend für die Winzer. Nachdem vor drei Jahren der Entwurf eines Prohibitionsgesetzes die erforderliche Mehrheit knapp verfehlt hatte, regten sich neue Bemühungen, den Weinbauern das Leben schwer zu machen. In einzelnen Städten der Südinsel war der Verkauf von Wein bereits verboten, worauf viele örtliche Winzer ihre Güter aufgeben hatten. Gerüchten zufolge hatte einer von ihnen aus Verzweiflung sogar sein Haus angezündet.
Louise ballte entschlossen die Fäuste. So werde ich auf keinen Fall enden! Und wenn ich persönlich nach England reisen und dort vorstellig werden muss!
Didier hatte Recht, die Straße wurde besser. Nach einer halben Stunde erreichten sie die Stadtgrenze von Napier. Eine frische salzige Brise schlug ihnen entgegen. Ich könnte Didier bitten, ans Meer zu fahren, dachte Louise sehnsüchtig. Wie lange ist es schon her, dass ich an der Küste gestanden und Tangaroas Gesängen gelauscht habe?
Obwohl die Versuchung groß war, diesem Verlangen nachzugeben, entschied sie sich, in die Stadt zu fahren. Es wurde Zeit, dass sie ihrer alten Freundin Amalia Grimes mal wieder einen Besuch abstattete.
»Didier, bring mich bitte in die April Street!«
Mehr musste sie nicht sagen. Der Kutscher lenkte den Landauer gehorsam durch Nebenstraßen, bis sie die Main Street erreichten, wo ein Tumult ihn zum Anhalten zwang. Eine unüberschaubare Menschenmenge verstopfte die Straße.
»Didier, was ist da vorn los?« Obwohl sie den Hals reckte, konnte sie nicht viel erkennen.
Er richtete sich auf dem Kutschbock auf. »Ein Menschenauflauf, Madame. Soweit ich es überblicken kann, stecken noch andere fest. Soll ich mal nachsehen, was die Ursache ist?«
Ob das wieder diese Suffragetten sind?, fragte Louise sich. Seit einiger Zeit machten die Frauenrechtlerinnen verstärkt die Gegend unsicher. Nach dem Wahlrecht, das schon seit einiger Zeit in Neuseeland galt, forderten sie weitere Rechte und verlangten so absurde Dinge wie die Abschaffung des Korsettzwangs in der Mode. Dinge, über die sie nur den Kopf schütteln konnte. »Nein, nicht nötig. Bleib nur hier! Wir wollen nicht zu neugierig erscheinen.«
Davon überzeugt, dass sich der Stau schon bald auflösen würde, lehnte Louise sich zurück und strich den Rock ihres Witwenkleides glatt.
»Mistress de Villiers!«
Von einer kleinen Staubwolke umgeben, hetzte Jason Callaway auf sie zu. Das Gesicht des Pub-Besitzers war hochrot.
»Ich habe gerade Ihre Kutsche gesehen und dachte mir, ich sag Ihnen Bescheid.« Keuchend lehnte er sich an den Kutschenschlag.
»Was gibt es denn, Mister Callaway?«
Er brauchte einen Moment, um zu Atem zu kommen. »Sie haben ein totes Mädchen gefunden. Neben dem Laden von Mister Morton.«
Louise schlug die Hand vor den Mund. »Du lieber Himmel!«
»Die Polizei hat die Straße abgesperrt, damit der Doktor die Leichenschau
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