Sonne über Wahi-Koura
vornehmen kann.«
»Hier auf der Straße?« Louise war entsetzt über diesen Mangel an Pietät, den die örtliche Behörde zur Schau stellte. Auch wenn es sich um einen Mord handelte, musste die Tote doch vor den Blicken der Neugierigen geschützt werden!
»Ich fürchte, ja«, antwortete Callaway. »Sie können sich vorstellen, wie aufgelöst der alte Teddy ist.«
Der Gemischtwarenhändler Thaddeus Morton war nicht gerade nervenstark. Louise ahnte, was er durchmachte.
»Und wie lange wird die Sperre noch dauern?«
»Das müssten Sie die Polizisten fragen. Aber ich rate Ihnen, wenn möglich, umzukehren und durch Seitenstraßen zu fahren.«
Louise bedankte sich für die Auskunft, verabschiedete sich und ließ Didier wenden.
Amalia Grimes schnarchte in einem Ohrensessel mit zur Seite gelegtem Kopf selig vor sich hin, als Louise durch die Salontür trat. Das Dienstmädchen, das sie hereingeführt hatte, wirkte ein wenig unsicher, ob es die Herrin wecken solle oder nicht.
Doch schon zuckte Amalia zusammen und sah auf.
»Louise! Welche Überraschung! Wie lange stehst du denn schon da? Und warum hat mich niemand geweckt?«
»Keine Sorge, ich bin gerade erst angekommen.«
Louise nahm ihren Hut ab und reichte ihn samt Hutnadel dem Dienstmädchen. Während die kleine Blonde damit verschwand, umarmte Louise ihre Freundin herzlich.
»Komm, setz dich zu mir! Ich dürste nach Neuigkeiten über Wahi-Koura.«
Früher war Amalia eine der besten Tänzerinnen des Landes gewesen und hatte Louise häufig auf dem Weingut besucht. Aber seit ihre Beine nicht mehr mitmachten, ging sie kaum noch aus dem Haus und freute sich immer, wenn ihre Freundin vorbeischaute.
Louise ließ sich auf der Chaiselongue gegenüber von Amalia nieder. Obwohl die Freundin im Rollstuhl saß und meist eine Decke auf ihren Knien lag, achtete sie immer auf tadellose Kleidung. Auch sie war Witwe und trug deshalb seit zehn Jahren nur Schwarz. Dennoch unterschieden sich ihre mit schwarzen Jetperlen bestickten Kleider erheblich von der üblichen Trauerkleidung. Sie waren so elegant, dass man sie beinahe für Abendroben halten konnte. Und Amalias silbergraue Haarpracht war stets gut onduliert.
Ebenso wie Amalia besaß der Salon eine gepflegte Eleganz. Der im Raum schwebende Duft nach Zitrone erinnerte Louise an ihre Jugendzeit, als sie am Institut von Mrs Higgins unterrichtet worden war.
»Mary, bringen Sie uns doch bitte einen Tee!«, wies Amalia das Dienstmädchen an, das inzwischen wieder in der Tür aufgetaucht war. Dann wandte sie sich an Louise. »Wie geht es deinem Weinberg, Liebes?«
»Danke. Besser denn je.«
»Du klingst aber so, als seien dir sämtliche Stöcke erfroren. Was ist los?«
Auch heute redete Amalia nicht lange um den heißen Brei herum. Sie mochte vielleicht ein großes Haus und Bedienstete haben, aber im Herzen war sie immer noch das einfache Mädchen aus Wellington, das als Gattin eines Rinderbarons nach Napier gekommen war.
»Ach, mir geht so manches im Kopf herum.« Soll ich ihr erzählen, dass Laurents Frau hier ist? Nicht jetzt, entschied Louise nach einigem Ringen und antwortete: »Der Wind wird rauer für uns Winzer.«
»Das habe ich auch gehört«, meinte Amalia. »Ehrlich gesagt mache ich mir allmählich Sorgen. Du erinnerst dich sicher noch, wie knapp der Antrag auf ein Alkoholverbot beim letzten Mal gescheitert ist.«
Louise nickte seufzend.
»Der Druck, der auf den Stadträten liegt, ist sehr hoch. Erst vor kurzem haben die Abstinenzler wieder vor dem Government Building protestiert und sogar eine Anhörung erreicht. Ihr Argument, dass der Alkohol Männer verderbe und zur Trunksucht verführe, ist schwer zu entkräften.«
»Als wäre Wein dazu gedacht, sich bis zum Wahn zu betrinken!« Louise ballte empört die Fäuste. »Diese Banausen mögen das vielleicht glauben und praktizieren, doch der Wein ist und bleibt ein Kulturgut, Amalia. Ein Genuss und kein Mittel zum Rausch!«
»Das sehe ich auch so, liebe Freundin. Aber dennoch musst du zugeben, dass viele Menschen schwer ein Maß finden, wenn es ums Trinken geht.«
Amalia sprach aus Erfahrung. Auch ihr Mann war am Ende seines Lebens der Trunksucht verfallen. Dennoch hatte sie sich nie auf die Seite der Abstinenzler gestellt.
Louise presste die Lippen zusammen. Sollten die Abstinenzler in Neuseeland wie in Amerika ein Alkoholverbot erreichen, würde sich alles, wofür sie gekämpft hatte, in Rauch auflösen.
Als das Dienstmädchen den Tee einschenkte, wurde
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