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Sonne über Wahi-Koura

Sonne über Wahi-Koura

Titel: Sonne über Wahi-Koura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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verließ den Raum scheinbar ungerührt. Doch draußen im Gang wurde ihr schwindelig. In ihrer Brust brannte es, und das Atmen fiel ihr schwer. Erschöpft lehnte sie sich gegen eine Wand. Diese Frau ist nicht gut für mich, dachte sie verzweifelt. Ich muss ihr aus dem Weg gehen.
    Obwohl es draußen warm war, fühlte sich Helena besser, als sie die Treppe hinter sich gebracht hatte. Langsam überquerte sie den Hof.
    Erst als sie ihren Aussichtsplatz erreicht hatte und auf den Fluss hinabblickte, beruhigte sie sich ein wenig. Der Wind spielte mit ihren Haaren, und das Rauschen der Blätter umgab sie wie eine schützende Wand. Dennoch rasten Helenas Gedanken, und der Zorn in ihrem Herzen brannte lichterloh. Wann würde Louise endlich aufhören, sie zu drangsalieren? Die drei Tage ihres Aufenthaltes hier hatten ihr mehr zugesetzt als die vergangenen Wochen der Ungewissheit und die beschwerliche Reise.
    Ein Rascheln riss sie aus ihren Gedanken. Helena blickte zur Seite. Ist mir jemand gefolgt? Sarah vielleicht?
    Als sich niemand zeigte, erhob sie sich und näherte sich vorsichtig der Stelle, wo sie das Geräusch vermutete. Plötzlich summte jemand. Eine Kinderstimme!
    Helena hielt inne. Was sucht ein Kind hier? Gehört es zu einem der Arbeiter?
    Aus dem Summen wurde schließlich ein Lied. Die Worte verstand Helena nicht. Ist das die Sprache der Maori?
    Vorsichtig schlich sie weiter. Sie entdeckte ein etwa zehn oder elf Jahre altes Mädchen mit pechschwarzen Locken. Es war braun gebrannt und in graue Tücher gehüllt.
    Helena beobachtete gebannt, wie es glatt geschliffene bunte Steine auf dem Boden auslegte. Einige von ihnen schimmerten wie Rosenquarz oder Jade. Die Kleine war vollkommen vertieft. Sie tippte nacheinander auf die Steine und sagte etwas in ihrer Muttersprache. Dann hob sie die Hände und sang.
    Ist das ein Ritual?, fragte sich Helena. Oder so etwas Ähnliches wie das Murmelspiel unserer Kinder? Plötzlich knackte ein Ast neben ihr.
    Erschrocken sah das Mädchen auf. Seine Augen weiteten sich ängstlich.
    »Hallo, Kleine!«, sagte Helena freundlich. »Was spielst du denn da?«
    Das Mädchen schnappte nach Luft, raffte seine Steine zusammen und sprang auf. In Windeseile verschwand es zwischen den Weinstöcken.
    Helena war verwirrt. Hat sie mich falsch verstanden? Ich wollte ihr doch nichts Böses!
    Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, doch das Kind war fort.
    Während Helena zum Weingut zurückkehrte, nahm sie sich vor, mehr über die Maori, zu denen das Mädchen sicher gehörte, in Erfahrung zu bringen.
    Den Abend verbrachte Helena an Laurents Sekretär. Die Suche nach einem Schlüssel für die oberen Fächer war erfolgreich gewesen. Sie zog eine Schublade auf und fand Konstruktionszeichnungen von Flugzeugen, die Laurent offenbar als Junge aus Büchern kopiert hatte.
    Helena betrachtete sie gerührt. Allmählich verstand sie, warum ihr Mann sich so gar nicht für den Weinbau interessiert hatte. Vermutlich hatte seine Mutter auch ihn barsch behandelt, sodass er sich schon als Kind in eine eigene Welt geflüchtet hatte ...
    Ach, Laurent, dachte sie seufzend, warum nur hast du mir so gut wie nichts aus deinem früheren Leben erzählt? Sie bedauerte erneut, dass sie nicht in ihn gedrungen war, um mehr in Erfahrung zu bringen.
    Als es klopfte, wischte sich Helena hastig die Tränen aus den Augenwinkeln und sprang auf. »Herein!«, rief sie, in der Annahme, Sarah wolle ihr das Abendessen bringen.
    Die Tür schwang auf, doch die Schritte verharrten an der Schwelle.
    »Darf ich eintreten?«, fragte der Kellermeister.
    »Ah, Mister Newman! Kommen Sie ruhig näher!«
    Sie faltete abwartend die Hände vor dem Körper.
    Der Kellermeister grüßte und senkte den Blick.
    Er wirkt fast schüchtern, dachte Helena. Wo ist das Raubein, mit dem ich mich gestritten habe?
    »Ich habe hier etwas für Sie.« Newman hielt ihr ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen entgegen. Noch immer wagte er nicht, sie direkt anzusehen.
    »Was ist das?«, fragte Helena.
    »Vorhänge.«
    »Aber Sie wollten doch ...«
    »Die haben zur Aussteuer meiner Schwester gehört«, fiel er ihr ins Wort. »Sie ist gestorben, bevor sie heiraten konnte.«
    Helena war sprachlos. »Das tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Kann ich sie dann überhaupt annehmen?«
    »Sie wollen doch meine Mutter nicht vor den Kopf stoßen?«
    »Ihre Mutter?«, wunderte sich Helena.
    »Ja, der Vorschlag, sie Ihnen mitzubringen, stammt von ihr. Als ich heute nach ihr gesehen

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