Sonne über Wahi-Koura
habe, wollte sie wissen, was ich noch zu erledigen habe.«
»Und da Sie ein folgsamer Sohn sind, haben Sie es ihr haarklein berichtet.« So hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt, dachte Helena amüsiert.
»Natürlich! Als ich ihr erzählte, dass Sie sich blaue Vorhänge wünschen, meinte sie, dass sie noch ein paar sehr gute Vorhänge hätte, die sie selbst nie anbringen würde. Sie seien eher etwas für junge Leute.«
Newman verstummte, als Helena ihn anlächelte. Die Verlegenheit zwischen ihnen währte aber nur einen Moment.
Helena räusperte sich. »Ihre Mutter wohnt also in Napier?«
»Ja. Seit dem Tod meiner Schwester kümmere ich mich um sie.«
»Und Ihr Vater?«
»Ist auf einem Walfänger ums Leben gekommen. Ich war damals erst dreizehn.«
»Oh, das ist ja schrecklich!«
Der Kellermeister nickte und schwieg verlegen.
Auch Helena brachte kein Wort hervor.
»Wollen Sie die Vorhänge nun oder nicht?«, fragte er schließlich.
»Aber sicher, gern.« Helena nahm ihm das Päckchen aus der Hand. »Vielen Dank! Und grüßen Sie Ihre Mutter von mir, wenn Sie sie wieder besuchen!«
Newman murmelte einen Gruß und zog sich zurück.
Helena stand wie angewurzelt und starrte ihm nach. Dann setzte sie sich auf die Chaiselongue und öffnete das Päckchen. Als ihr etwas Himmelblaues aus dem Packpapier entgegenblitzte, füllten ihre Augen sich mit Tränen. Was für wunderbare Vorhänge!
Beim Hervorziehen der Stoffbahnen fiel ihr etwas entgegen. Ein Kalender, wie sie noch keinen gesehen hatte: Er war auf kein bestimmtes Jahr festgelegt, sondern man konnte ihn monatsweise umschlagen und die Tage mittels einer Papierscheibe einstellen. In einem von Spitzenbordüren gerahmtem Sichtfenster stand die Ziffer Sieben. Die Monatsblätter waren mit getrockneten Blüten, Blättern, Borten und Schleifen dekoriert, passend zu den neuseeländischen Jahreszeiten. Ob Newmans Schwester diesen Kalender gebastelt hatte? Fasziniert schlug Helena Blatt für Blatt um. Den Februar, in dem die Weinlese stattfand, zierten Weinlaub und pflaumenfarbene Bänder.
Wehmut überkam sie. Wahrscheinlich wird meine Schwiegermutter mir nicht erlauben, an der Lese teilzunehmen. Am besten, ich frag sie gar nicht erst danach und versuche Newman davon zu überzeugen, dass ich eine gute Hilfe wäre. Die Vorhänge und der Kalender sind jedenfalls ein Zeichen dafür, dass sein Herz nicht aus Stein ist, dachte Helena.
8
Nur ein Blick auf den Kalender, dem sie einen Ehrenplatz auf dem Sekretär eingeräumt hatte, erinnerte Helena daran, dass Weihnachten nahte. Lächelnd drehte sie die Papierscheibe, bis die Dreiundzwanzig in dem Fenster erschien, das von getrockneten Blättern eines Weihnachtssterns und goldenen Schleifen gerahmt war. Ansonsten deutete weder das strahlende Sommerwetter noch die Stimmung im Haus auf das Fest der Geburt Christi hin.
Was hast du denn erwartet?, schalt sich Helena. Dass Louise ausgelassen mit Tannenbaum und Engelshaar feiert?
Neben der Weinlese waren die Adventswochen und das Weihnachtsfest für Helena die schönste Zeit im Jahreskreis. Sie hatte nie verstanden, dass manche Menschen sich ein rasches Ende der Weihnachtstage wünschten, an denen sie mit Besuchen von unliebsamen Verwandten rechnen mussten. Doch nun wünschte sie selbst, die Festtage wären bereits vorbei. Denn es war das erste Weihnachten, das sie ohne ihren geliebten Laurent verbringen musste.
Helena trat ans Fenster und strich wehmütig über die Vorhänge, die Didier angebracht hatte. Was sie sah, war so gar nicht in Einklang zu bringen mit den Erinnerungen an das deutsche Weihnachtsfest. Helena erinnerte sich an schneebedeckte Rebstöcke, von denen kleine Eiszapfen herabhingen, und einen klaren blauen Himmel über der Lahn. Der Duft von Lebkuchen und Tannennadeln gehörte ebenso zum Fest wie Adventslichter und Weihnachtslieder.
Im vergangenen Jahr waren Laurent und sie um die Weihnachtszeit in einem romantischen kleinen Hotel in Bad Hönningen abgestiegen. Laurent hatte einen Schlitten gemietet, mit dem sie am Nachmittag des vierundzwanzigsten Dezembers in den Westerwald hinausgefahren waren.
Ein Schauer überlief Helena. Das Bild vor ihrem geistigen Auge wurde so stark, dass sie glaubte, wieder in dem Schlitten zu sitzen, unter Fellen, dicht neben Laurent ...
Die klare Frostluft biss Helena in die Wangen und verwandelte ihren Atem in eine kleine Wolke. In ihren dicken Pelzmantel gehüllt, saß sie neben Laurent, dessen Wangen rot wie die eines
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