Sonne über Wahi-Koura
Winterapfels waren. Schweigend genossen sie den Anblick des sich türmenden Eises am Rheinufer und das Klingeln der Schlittenglocken, das sich mit dem gedämpften Hufgetrappel mischte.
Hin und wieder ähnelten die Eisfiguren Booten, Blütenkelchen oder dem Wasser entsteigenden Feen.
Es ist wie im Märchen, dachte Helena. Als würden wir durch das Reich der Schneekönigin reisen. Fehlt nur noch ein verwunschenes Schloss auf einer Hügelkuppe, und das Märchenland wäre perfekt.
»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte sie, als sie sich an Laurents Arm schmiegte.
»Das ist eine Überraschung, chérie.«
»Und du willst mir keinen kleinen Hinweis geben?«
Laurent beugte sich zu ihr und küsste sie.
»Du hast eine seltsame Art, nein zu sagen«, wisperte Helena. Auf einmal wünschte sie, sie wären im Hotel geblieben, um den Tag im Bett zu verbringen. Aber schon gestern hatte sie gespürt, dass er etwas Besonderes vorhatte.
Nachdem sie eine Weile am Rheinufer entlanggefahren waren, bogen sie ab und fuhren auf ein Waldstück zu. Keine Menschenseele war zu sehen. Nur ein Habicht zog über ihnen seine Kreise.
Das Knirschen des Schnees unter den Schlittenkufen und der Hufschlag waren die einzigen Geräusche im Wald. Schnee rieselte von den Fichten und stob ihnen Eiskristalle ins Gesicht.
»Sollen wir nicht besser umkehren?«, fragte Helena, doch Laurent lachte nur.
»Warum denn? Noch sind wir nicht am Ziel.«
»Was erwartet uns denn mitten im Wald? Die Hexe aus dem Märchen?«
»Selbstverständlich. Ich habe ihr aufgetragen, Lebkuchen zu backen.« Laurent strich zärtlich über Helenas Wange.
Ihre Neugierde wuchs. Was hat er nur vor?
Plötzlich schoss ein Reh aus dem Unterholz. Dicht vor ihnen überquerte es den Weg und verschwand im Wald.
Helena juchzte vor Freude und Erleichterung.
»Hast du geglaubt, das seien Räuber?«, fragte Laurent scherzhaft und zog sie in die Arme.
»Wer weiß, vielleicht gibt es mitten im Wald noch welche.«
»Keine Sorge, ich werde nicht zulassen, dass dich ein Räuber entführt. Außerdem sind wir gleich da. Schau mal, da vorn!« Er deutete auf eine schmale Rauchfahne, die sich zwischen den Baumkronen kräuselte.
Der Rauch stieg aus dem Schornstein einer kleinen, aus massiven Bohlen errichteten Hütte auf. Sie wirkte so verwunschen wie das Häuschen, in das sich Hänsel und Gretel verirrten.
»Da wären wir.«
»Eine Waldhütte?«, fragte Helena verwundert, während sich ihr Herzschlag beschleunigte. Laurents Einfallsreichtum erstaunte sie immer wieder.
»Nicht irgendeine Waldhütte«, erklärte er, wobei ihm der Schalk in den Augen blitzte. »Ich habe den Förster lange bitten müssen, damit er sie mir überlässt. Halten Sie hier!«
Sofort brachte der Kutscher die Pferde zum Stehen, und Laurent half Helena aus der Kutsche. Obwohl der Weg zur Hütte geräumt war, hob er seine Frau kurzerhand auf seine Arme.
»Sie können wieder zurückfahren«, rief er dem Kutscher zu.
Der wendete den Schlitten.
»Warum lässt du ihn fahren?«, fragte Helena mit einem Anflug von Panik. »Wir können doch nicht die ganze Nacht hierbleiben!«
»Weil ich die Überraschung allein mit dir genießen möchte.«
Die Glöckchen klingelten nur noch in der Ferne, als Laurent Helena herunterließ und die Hütte öffnete. Eine angenehme Wärme strömte ihnen entgegen und brachte den Schnee auf ihren Mänteln zum Schmelzen.
»Oh, mein Gott!«, stieß Helena hervor. Ein Feuer prasselte im Kamin und tauchte den Raum in ein rötliches Licht. Eine kleine Fichte, die mit vergoldeten Nüssen, Lebkuchen, roten Schleifen, Äpfeln und Engelshaar geschmückt war, verströmte einen aromatischen weihnachtlichen Duft. Aber das war noch nicht alles: Auf einer festlich geschmückten Tafel standen Teller, Gläser und ein gefüllter Picknickkorb bereit.
»Wie hast du das alles herbekommen?«
Laurent lächelte triumphierend. »Ich hatte Hilfe von Knecht Ruprecht.«
»Und der sah zufällig wie unser Kutscher aus?«
»Eine gewisse Ähnlichkeit war schon vorhanden.«
Nachdem sie abgelegt und Laurent noch ein paar Holzscheite nachgelegt hatte, füllte er die Gläser mit Glühwein, den er am Kaminfeuer erhitzt hatte. Sie setzten sich auf das Bärenfell, das vor der Feuerstelle lag, und genossen das heiße Getränk und die behagliche Wärme.
Als es dunkelte, zündete Laurent die Kerzen des Weihnachtsbaumes an. Der goldgelbe Schein erfüllte jeden Winkel, während der Wind raunend Schneeflocken gegen die Scheiben
Weitere Kostenlose Bücher