Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonne über Wahi-Koura

Sonne über Wahi-Koura

Titel: Sonne über Wahi-Koura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
Vom Netzwerk:
Stammes. Wenn die Heilerin keinen Rat wüsste, könnte sie zumindest die Götter um Hilfe anrufen.
    Im Dorf war noch alles ruhig. Dunst schwebte über den Dächern, als wolle er das marae beschützen. Beim Anblick der Schnitzereien des Versammlungshauses, die grimmige Grimassen mit herausgestreckten Zungen zeigten, kam Louise sich plötzlich wie ein Eindringling vor.
    Sie zögerte. Ja, sie hatte sich weit von ihren Wurzeln entfernt.
    Sie wusste, dass die tohunga noch lebte. Anderenfalls hätte man ihr Bescheid gegeben. Aber wäre die Heilerin bereit, mit ihr zu sprechen? Nach dem Streit mit dem Häuptling hatte Ahorangi zu ihr gehalten, doch möglicherweise hatte sich das Blatt längst gewendet. Louise seufzte.
    Hinter ihr raschelte es plötzlich. Louise schnappte erschrocken nach Luft und wandte sich um. Zwei Armlängen von ihr entfernt stand eine alte Frau. Ihr Haar war dünn, ihre Augen lagen in tiefen Höhlen. Graue Stoffbahnen schlotterten um ihren Körper. Das moko an ihrem Kinn wurde von zahlreichen Falten verzerrt.
    Louise erschauderte unwillkürlich. Die tohunga! Obwohl sie bezweifelte, dass die alte Heilerin magische Kräfte besaß, brachte sie ihr großen Respekt entgegen.
    Die beiden Frauen sahen einander an. Die Miene der Heilerin wirkte undurchdringlich, aber ihre tiefbraunen Augen musterten Louise aufmerksam.
    »Haere mai, Ahorangi.« Louise neigte den Kopf.
    »Weshalb bist du hier, Huia?«, fragte die Alte, ohne den Gruß zu erwidern.
    Louise zitterte. Außerhalb des Dorfes nannte niemand sie so. Ihr Maori-Name war auch der Name eines Vogels, der in diesen Breiten nur noch selten beobachtet werden konnte. Hatte die tohunga bei der Namensgebung bereits geahnt, dass sich Louise ebenso rar machen würde wie dieser Vogel?
    »Ich möchte den Beistand der Götter erbitten«, antwortete sie schließlich.
    Die Heilerin trat näher und legte den Kopf schräg. »Du erinnerst dich an Papa und Rangi? So lange du schon lebst unter pakeha und gehst in die Häuser ihres Gottes. Ich glaube, du hast Götter deiner Ahnen vergessen.«
    Louise hob beschwörend die Hände. Kaum jemand in Napier wusste noch, dass ihre Großmutter eine Maori war. Ahorangi jedoch hatte es nicht vergessen. »Ich habe Papa und Rangi nicht vergessen. Ich denke immer an unsere Götter, egal wo ich bin.«
    »Wann hast du letztes Mal mit ihnen gesprochen?«
    Louise seufzte. »Es ist schon viel zu lange her.«
    »Und jetzt sie dich erhören sollen? Sie nicht mehr kennen deine Stimme.«
    »Deshalb bin ich hier. Ich brauche deine Hilfe.«
    Die Heilerin stieß einen missbilligenden Laut aus. »So viele Jahre du nicht Hilfe gebraucht hast.«
    »Das ist richtig. Dennoch habe ich euch beschützt.«
    »Das hast du. Aber ich spüre, etwas ist anders. Die Götter wispern von Gefahr.«
    »Euch droht keine Gefahr. Nicht, solange ich lebe.«
    Die Alte sah Louise lange an. Dann streckte sie ihr die linke Hand entgegen. »Gib mir deine Hand!«
    Louise reichte sie ihr zögerlich.
    »Dein mauri ist schwach. Sehr schwach.«
    »Meine Pflichten verzehren mich.«
    »Nicht nur Pflichten. Dein Herz voller Kummer und Tränen ist.«
    »Mein Sohn ist tot.«
    »Das mir die Winde berichtet. Doch du hast Tochter bei dir.«
    »Sie ist nicht ...« Louise stockte, als die tohunga missbilligend mit der Zunge schnalzte.
    »Ist sie nicht wahine deines Sohnes?«
    Es brachte nichts, die Alte zu belügen. Die Heilerin hatte ihre Augen und Ohren überall. »Ja, das ist sie.«
    »Dann ist sie deine Tochter. Eine Tochter mit Kind.«
    Louise war überrascht. Woher wusste sie von Helenas Schwangerschaft? Beobachtet sie das Gut? Louise wagte nicht, die Heilerin danach zu fragen.
    »Kind ist deine Zukunft. Du musst den Kummer aus deinem Herz verbannen, sonst er es auffrisst.«
    Das sagst du so leicht, tohunga, hätte Louise am liebsten geantwortet, aber sie senkte nur demütig den Kopf.
    »Ich spüre aber auch anderes, das dir nimmt mauri.«
    Ja, meine Lebenskraft ist geschwunden in der letzten Zeit, dachte Louise. Aber ist das ein Wunder? »Es gibt Menschen in der Stadt, die mir meinen Besitz nehmen und meinen Ruf ruinieren wollen«, erklärte sie und blickte beschämt auf ihre Stiefelspitzen. »Ich weiß nicht mehr weiter.«
    Die tohunga sah sie merkwürdig an. »Pakeha ist der Besitz viel wert. Aber dir man nicht kann Boden unter Füßen fortnehmen, denn er ist dein.«
    Louises Herz krampfte sich zusammen. »Das weiß ich, aber manche Menschen scheren sich nicht darum. Sie nehmen sich,

Weitere Kostenlose Bücher