Sonne, Wind und Mord (German Edition)
Leitung.
Oberflächlich wirkte sie harmlos, aber in ihr lag eine Eiseskälte, die selbst
Joe immer wieder unangenehme Schauer über den Rücken jagte. Er stand mit dem
Handy am Ohr auf dem Lagerhausdach und versuchte, seinem Klienten die Situation
zu erklären.
„Nicht ganz; der Mann ist tot, aber…“
„Aber?“, kam es messerscharf zurück.
„Nun, er ist nicht… die Havenwacht hat
ihn gefunden.“
„Und die Unterlagen?“
Joe versuchte, ruhig zu atmen. Die Stimme
hatte einen bedrohlichen Klang angenommen.
„Die Unterlagen haben sie auch“, gab Joe
kleinlaut zu und rechnete dabei mit dem Schlimmsten. Die erwartet heftige
Reaktion blieb jedoch aus. Stattdessen entstand eine unheimliche Stille.
„Hören Sie mir jetzt gut zu, Joe“, sagte die
Stimme schließlich in gewohnt ruhiger Art. „Sie werden diese Unterlagen in
Ihren Besitz bringen. Haben Sie mich verstanden?“ Der Hüne nickte nur stumm.
„Ich deute Ihr Schweigen als Zustimmung. Aber
das ist nicht alles, Joe. Hören Sie mir jetzt gut zu. In wenigen Minuten wird eine
Frau im Hafen eintreffen. Sie ist eine enge Mitarbeiterin des Professors…“
„Aber woher wussten Sie…?“
„Unterbrechen Sie mich nicht, Joe. Nie! Ich
habe meine Quellen. Und jetzt zurück zu dieser Frau. Wir vermuten, dass sie in
die Geschichte eingeweiht ist. Erledigen Sie das auf Ihre Art, aber bitte
diesmal ohne weitere Unannehmlichkeiten. Ich habe Ihnen alle nötigen
Informationen auf Ihr Handy geschickt. Equipment steht für Sie bereit in einem
Container, nicht weit von Ihrem jetzigen Standort. Alles Weitere finden Sie in
den Daten, die Sie gerade von mir erhalten haben.“
„Habe verstanden. Wir werden Sie nicht
enttäuschen.“
„Ich hoffe es … Ach ja, noch etwas … Joe. Die
Polizei wird gleich am Tatort sein. Nur zwei Männer, ein Greenhorn und ein
frustrierter Inspektor. Ich schlage trotzdem vor, Sie beeilen sich. Wenn nicht,
lassen Sie sich lieber schnell etwas einfallen.“
Es knackte und die Leitung war tot.
***
9:58 Hafen Rotterdam
Rudjards Privatwagen erreichte den Hafen ohne
besondere Vorkommnisse. Der Verkehr in den Nebenstraßen hatte sich in
erstaunlichen Grenzen gehalten und sie waren zügig an die Schwelle gekommen, wo
sich Stadt und Hafen langsam vermischten, bis das Panorama schließlich nur noch
von großen Lagerhäusern, riesigen Öllagertanks, Containern, Lastkränen, LKWs,
Gleisen, Güter wagons und großen Ozeandampfern bestimmt wurde. Der Surveillant
stellte den Wagen neben einer Hochseecontainerreihe in der Nähe des
Leichenfundortes ab. Kees Bloemberg war heilfroh, die türkisgrüne
Sardinenbüchse verlassen zu können. Die Kupplung des Wagens war „leicht
defekt“; der Motor klackerte auffällig und sowohl Lenkung als auch die Bremsen
des Autos waren „schwergängig“. Die Karre war eine Schrottmühle, potenziell ein
metallener Sarg bei jeder Autobahnfahrt. Eine Gefahr für Leib und Leben.
Direkt nach ihrem Eintreffen, führte man sie
zu Pier 271. Der Schlepperkapitän hatte den Toten hierher gebracht und die
Verwunderung des Inspektors ließ nicht lange auf sich warten. Entgegen seiner
Vermutungen war die Fundstelle nicht weiträumig abgesperrt worden. Stattdessen
herrschte auf den benachbarten Piers ein reges Treiben. Die Leiche hatte man in
der Nähe eines Kühlhauses abgelegt. Da die Piers 270 und 271 an diesem Tag
nicht benötigt wurden, war kaum jemand auf ihnen unterwegs. Man teilte
Bloemberg und Rudjard kurz mit, dass es sich - laut gefundenem Personalausweis
- um einen Mann namens Edgar Wilm Van Kessner handelte. Er besaß einen
Doktoren- sowie Professoren-Titel in Physik und war festangestellter
Projektleiter bei einem Forschungsinstitut namens ECN in Nordholland. Außerdem
hatte man bei dem Toten eine lederne Aktentasche gefunden. Mehr hatte man
bisher nicht herausfinden können oder wollen. Der zuständige Hafenmeister, der
sie begleitete, ließ keinen Zweifel daran, dass sich hier eine lästige Pflicht
aufgetan hatte, um die man sich kümmern musste.
Der Leichnam war, abgesehen von dem
Portemonnaie, aus dem die Informationen zu den Personalien stammten, nicht
angerührt worden. Auch von der Aktentasche hatte man die Finger gelassen.
Beides war provisorisch mit einer weißen Kunststoffplane abgedeckt worden.
Lediglich ein weiterer Bediensteter der Hafenwacht kümmerte sich darum, dass
niemand ohne Befugnis an den toten Professor heran kam, nicht einmal die
dunkelhaarige Frau, mit
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