Sonnenfinsternis: Kriminalroman
suchen einfach einen Platz für sich. Sie wollen irgendwo dazu gehören.»
«Das ist alles? Ihr redet einfach mit ihnen?»
«Wir wollen sie zum Nachdenken anregen. Prävention nennt sich das. Wir gehen aber auch in Schulen und diskutieren mit den Jugend li chen über diese Themen.»
«Und wie kam Steiner gerade auf dich?»
«Ich berate die Polizei ab und zu. Stadt und Kanton. Manchmal auch die aus anderen Kantonen. Auch die Bundespolizei hat schon bei mir angeklopft.»
Ich nickte langsam und sagte dann: «Okay. Du bist also der Experte für Neonazis.»
«Das kann man so sehen, ja. Und um das gleich zu unterstreichen: Skinheads und Neonazis sind eigentlich nicht genau dasselbe.»
«Wie meinst du das?»
Er lachte. «Willst du das wirklich wissen? Das kann eine Weile dauern . »
Ich zog die Augenbrauen hoch und bedeutete ihm mit einer Handbe wegung, er solle weitermachen.
«Na gut», meinte er achselzuckend. «Also, die Skinhead-Bewegung ist in den späten Neunzehnsechzigerjahren aus der englischen Arbeiterschicht entstanden und war am Anfang unpolitisch. Skinheads waren Weisse und Schwarze.»
Ich schaute ihn ungläubig an. «Schwarze Skinheads? Ist das dein Ernst?»
«Na klar. Beide verband ihre Vorliebe für Musik, primär Ska und den soge nann ten Early Reggae .»
«Okay, und wie kommt’s, dass man heute in den Medien nur diese glatz köpfigen Naziarschlöcher sieht?»
«Im Verlauf der Siebzigerjahre hat sich die Bewegung gespalten. Viele Schwarze sind zum politischen Reggae abgewandert…» Er schaute mich fragend an. «Bob Marley, Peter Tosh, Black Uhuru?»
Ich nickte.
«Also», fuhr er fort, «das war die erste Spaltung der Szene. In den späten Siebzigerjahren gab es dann eine erneute Spaltung in Tradi tio na listen, Linksextreme und Rechtsextreme. Damals kam auch der Nazi rock auf, der heute so prominent ist. Harte Gitarrenriffs und primitive rassistische Texte mit gequältem Schreigesang. Beim Zuhören kriegt man selber fast Knötchen auf den Stimmbändern.»
«Klingt unangenehm.»
«Ist es auch. Für dich oder mich. Aber in der Naziskinszene werden Härte, Kampfbereitschaft und Männlichkeit idealisiert . Oder das, was sie dafür halten. U nd diese Musik soll diese Eigenschaften wohl besonders zum Ausdruck bringen. Allerdings hat auch die Nazimusik in den letzten Jahren diversifiziert. Mittlerweile gibt es sogar Nazi-Hip-Hop. Ironisch, was?»
Ich trommelte mit den Fingern nachdenklich auf die Tischkante und hakte nach: «Du willst mir also erzählen, dass die alle nur brav Musik hören? Was ist mit dem Verkloppen von Schwarzen, Juden und Lin ken?»
«Das kommt natürlich vor, aber es ist eigentlich ein verhältnismässig geringer Anteil, der sich aktiv an sowas beteiligt. Allerdings ist die Gewaltbereitschaft in der Skinheadszene traditionell hoch, und zwar sowohl bei den linken wie bei den rechten Skins.»
Ich trank einen Schluck Kaffee und verarbeitete das.
Gunnar fuhr fort: «Also, wie gesagt, im Verlauf der Siebzigerjahre formierten sich die Naziskins. Ab Anfang der Achtzigerjahre verband sie dann der Rechtsrock, sozusagen als identitätsstiftendes Element. Begründet wurde dieser Musikstil in gewissem Sinn durch eine Band namens Skrewdriver , deren zweite Single White Power hiess.»
«Aha!», war alles, was mir einfiel.
«Ja, aha . Der Sänger wurde zum Idol einer ganzen Generation von rechten Skins. Eigentlich hiess er Ian Stuart Donaldson, aber in der Szene war er einfach als Ian Stuart bekannt.»
«War?»
«Er starb im Herbst 1993 bei einem Autounfall . D ie Band löste sich danach auf.»
«Pech für ihn.»
«Ja, aber nicht unbedingt für die Szene. Damit hatten sie ihren ersten richtigen Märtyrer. An seinem Todestag finden heute noch Gedenk kon zerte statt, auch in der Schweiz.»
«Und wieso ist Rechtsrock immer noch so populär, wenn der Kerl seit fünf zehn Jahren tot ist und es seine Band ebenso lange nicht mehr gibt?»
«Nazirock ist eine richtige Geldmaschine geworden. Die Naziskin be wegung ist heute komplett internationalis i ert, und die Musik ist das verbinden de Element zwischen den einzelnen nationalen Gruppen. Und Ian Stuart war halt der Übervater.»
Er hielt inne und schlürfte ebenfalls einen Schluck Kaffee.
Ich starrte ihn an und sagte wahrheitsgemäss: «Jetzt bin ich etwas ver wirrt. Du hast von Skinheads und Naziskins gesprochen. Naziskins sind also Skinheads, aber nicht jeder Skinhead ist ein Rassist?»
«Genau.»
«Und was ist ein
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