Sonnenfinsternis: Kriminalroman
fuhr die paar hundert Meter zur Tiefgarage des Center Eleven an der Sophie-Täuber-Strasse. Dort parkierte ich und nahm den Lift ins Erdgeschoss.
Der Max-Bill-Platz lag gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Binz mühle strasse, Zürichs alter Industriemeile. Er hatte die Form eines langgezogenen Dreiecks, und sein markantes, dreifarbig-geometrisches Plattenmuster stand in inte ressantem Kontrast zur eintönigen Phalanx rechteckige r Fenster an den Häuserblocks, welche den Platz auf zwei Seiten einrahmten . Im Erdgeschoss des linken Gebäudes befand sich der besagte Starbucks. Bis auf ein paar Teenager war er praktisch leer.
Ich bestellte einen Cappuccino und setzte mich in der Ecke an einen Tisch. Von hier aus konnte ich den Vordereingang gut im Auge behalten und blieb selber im Hintergrund.
Ich nahm den mitgebrachten Krimi zur Hand und begann zu lesen. Der Held,ein amerikanischer Privatdetektiv, löste seine Fälle mit einer Leichtigkeit und Non chalance, dass man richtig neidisch werden musste . Ausserdem wusste er immer ganz genau, was richtig und falsch, moralisch und unmoralisch war. Zu blöd, dass es ihn nicht wirklich gab. Sonst hätte er mir ab und zu einen Tipp geben können.
Kurz vor der vereinbarten Zeit läutete mein Handy. Ich kramte es mühsam hervor, aber bevor ich den Anruf entgegen nehmen konnte, hörte das Klingeln abrupt auf. Gleichzeitig sah ich aus den Au gen winkeln einen etwa fünfzig jährigen, glatt rasierten Mann in Jeans und Fla nell hemd mit kurzgeschnittenem grauem Haar auf mich zukom men , der gerade sein Handy wegsteckte . Das musste Neu mann sein .
«Herr van Gogh?» Er war etwa einen Kopf kleiner als ich und schmal gebaut. Trotzdem strahlte er eine grosse Selbstsicherheit aus. Er war mir auf Anhieb sympathisch.
«Genau», antwortete ich und erhob mich. «Herr Neumann?»
«Gunnar.»
Ich schüttelte seine dargebotene Hand und erwiderte: «Van Gogh.» Er hatte einen festen Händedruck.
«Hast du keinen Vornamen?», fragte er verwundert.
«Doch, aber den benutzt keiner. Er ist aber nicht Vincent.»
V erdutzt hielt e r einen Moment inne, dann schmunzelte er und erwiderte : «Du hörst wohl viele Künstlerwitze, was?» Ohne eine An t wort abzuwarten holte er sich ebenfalls einen Kaffee an der Theke. Damit setzte er sich zu mir und fragte: «Und was machst du so?»
« Reicht die Kurzversion?»
Er nickte freundlich .
«Ich war Polizist. Ich wurde gefeuert. Jetzt ermittle ich privat. Sternzeichen Fisch. Was willst du sonst noch wissen?»
E rneut schmunzelte e r. «Eigentlich nichts. Steiner meinte, du seist sein Freund. Das reicht mir.»
«Kennst du Steiner gut?»
«Eigentlich nicht, aber ich vertraue auf meine Menschenkenntnis. Sie ist mein Kapital. Und Steiner hat mir mehr als einmal ausgeholfen.» Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und blickte mir in die Augen. «Also, van Gogh , was kann ich für dich tun?»
Wie im Starbucks üblich lief im Hintergrund Musik. Sie war laut genug, um unser Gespräch zu übertönen, so dass wir frei reden konnten. Ich begann damit, Neumann einen kurzen Überblick über die Umstände zu geben, unter denen ich auf Kalle Rappolder gestossen war, ohne allerdings den Namen der beiden Alten zu erwähnen.
Neumann verdaute die Informationen und nickte dann nachdenklich. «Da hat deine Quelle nicht übertrieben. Der gute Kalle ist tatsächlich eiskalt.»
Ich nahm das kommentarlos entgegen und erwiderte stattdessen: «Gunnar, wenn’s dir recht ist, hätte ich zuerst gerne ein paar Hintergrundinfos über dich und deine Arbeit. Ist das okay ?»
«Sicher, kein Problem.»
«Okay. Also, was genau machst du und weshalb hat mich Steiner an dich verwiesen?»
«Ich bin Sozialarbeiter. Auf Neudeutsch ‹Streetworker › . In meiner Freizeit studiere ich die rechtsextreme Szene, sowohl national wie international. Nebenberuflich, sozusagen.»
«Wie meinst du das, nebenberuflich?»
«Ich habe mit zwei Kollegen zusammen die Aktion Holocaust-Auf klärung , kurz AHA, gegründet. Wir suchen und identifizieren in Chat rooms Jugendliche, welche rechtsextreme Inhalte verbreiten.»
Ich grinste. «Also seid ihr sozusagen Internet-Streetworker?»
«Du lachst, aber genau so ist es, ja.»
«Okay. Und was macht ihr mit diesen Teenies?»
«Üblicherweise verwickeln wir sie in Diskussion über Rassismus und E xtre mis mus. Aber auch über Probleme in der Familie oder im Job. Die meisten dieser Kids sind keine eingefleischten Rassisten, sondern
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