Sonnenfinsternis: Kriminalroman
gewalttätig. Er ist wegen schwerer Kö r per ver letzung vorbestraft. Eine psychiatrische Evaluation würde wahrscheinlich er ge ben, dass er eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufweist.»
«Und das heisst?»
«APS ist die moderne Bezeichnung für die veralteten Begriffe ‹Soziopathie› und ‹Psychopat h ie›. Sie manifestiert sich in der Missachtung sozialer Verpflichtungen und der Unfähigkeit, sich in andere hinein zu fühlen. Herzlosigkeit.»
«Aber hast du nicht gesagt, er sei der geborene Anführer?»
«Das muss kein Widerspruch sein. Viele Personen mit APS sind ausser ordent lich charmant und haben unter anderem ein übersteigertes Selbstvertrauen. Sie besitzen ein sehr begrenztes eigenes Gefühlsleben, können aber die Gefühle anderer gut wahrnehmen und sie dadurch manipulieren. Das kann so jemanden gerade in der Skinhead-Szene zu einem erfolgreichen Führer machen. Aber APS ist natürlich nicht auf die Skinszene beschränkt. Man geht davon aus, dass in der Bevölkerung etwa drei Prozent der Männer und circa ein Prozent der Frauen eine solche Störung aufweisen.»
«Drei Prozent ? Unglaublich!»
«Nicht wahr? Der typische APS-Patient wird schon als Kind auffäl lig, zum Beispiel wegen Vandalismus, Stehlen oder häufigem Lügen. Auch Schule schwänzen und wiederholtes Weglaufen von zu Hause gehör en dazu. Als Erwach se ne sind sie dann oft sehr rücksichtslos, häufig arbeitslos, zahlen Schulden nicht, sind gewalttätig und tendieren generell zur Kriminalität.» Er bemerkte meinen aufkeimenden Wider spruch und ergänzte: «Der Umkehrschluss gilt natürlich nicht. Nicht jeder, der arbeitslos ist, seine Schulden nicht bezahlen kann und deshalb öfters gereizt ist, hat APS. Und nicht jede Person mit APS ist in diesem Sinne auffällig. Viele setzen sich auch in der Geschäftswelt durch, fallen aber sonst nicht weiter auf. Diese Eigenschaften scheinen dort übrigens unter gewissen Umständen geradezu von Vorteil zu sein. Es gibt eine Studie, die nachweist, dass überdurchschnittlich viele CEOs grosser Unternehmen diese Störung aufweisen.»
Ich meinte sarkastisch: «Was für eine Überraschung!»
Er grinste. «Nicht wahr?»
Etwas ging aber für mich immer noch nicht auf, und auch auf die Gefahr hin, als speziell begriffsstutzig wahrgenommen zu werden, hakte ich nochmals nach: «Aber ich begreife immer noch nicht, was du damit meinst, dieser Psychopath sei ein als Skinhead verkleideter Neonazi.»
«Na ja, das ist wirklich nicht so schwierig: Er ist ein politischer Fanatiker, wie er im Buche steht, und so wie ich ihn einschätze, verfolgt er seine Ziele immer mit denjenigen Mitteln, die am meisten Erfolg versprechen. Im Moment scheint sein Mittel zum Erfolg eine Gruppe von besonders gewaltbereiten Skinheads zu sein. Eine Bruderschaft, wie sie das nennen.»
«Hat sie auch einen Namen?»
«Sie nennen sich Aktion Mjölnir .»
«Nach Thors Hammer?»
«Ganz genau. Der Hammer, mit dem der nordische Donnergott die Feinde der Götter bekämpfte. Rappolder hat der Gruppe eine völlig abstruse Philosophie verpasst, aber die armen Idioten fressen ihm förmlich aus der Hand. Ihr Selbstbild ist das einer Widerstandsgruppe, welche die Feinde der Herrenrasse zerschmettern soll. Weisst du, im Weltbild der extremen Rechten ist die weisse Rasse unter Druck und muss sich gegen die Ausrottung wehren.»
«Und haben die Anfangsbuchstaben dieses Namens eine Bedeutung? So wie bei Division 28 ?»
«Das haben sie tatsächlich. A und M sind der erste sowie der zwölfte Buchstabe des Alphabets.» Er machte eine Kunstpause. «Am 1. Dezem ber 1936 wurde das Gesetz über die Hitlerjugend erlassen, wonach alle männ lichen Jugendlichen des dritten Reiches ab dem zehnten Lebens jahr zwingend Mitglieder sein mussten.»
«Du denkst, das sei Absicht? Ist das nicht etwas gar gesucht?»
«Natürlich ist es das. Aber erzähl das mal diesen Spinnern . Es steht auf ihrer Homepage!»
«Die haben eine Homepage ?»
Gunnar nickte mit Nachdruck. «Über das Internet organisieren sie sich und verbreiten auch ihre Propaganda. Allerdings nur Parolen und ‹Frontberichte›, wie sie das nennen. Eine Homestory über die Mitglieder oder ein Impressum wirst du vergeblich suchen. Aus naheliegenden Gründen halten sie sich stark bedeckt. Aber sie veröffentlichen zum Beispiel alle zwei Monate ein Pamp h let, ein übles Hetzblättchen, in dem sie die Unterwanderung der Schweiz durch Immigranten und den Verlust der Schweizer Kultur
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