Sonnenfinsternis: Kriminalroman
schiedene Personen entgegen. Zumindest schien es auf den ersten Blick so. Das linke Foto war offensichtlich an einem Konzert entstanden und zeigte einen ty pi schen Skinhead, der eine Bierflasche hochhielt , das Gesicht zu einer grö len den Fratze verzog en . Auf dem rechten Bild war ein selbstbewusst drein blickender, elegant angezogener Mann von stattlicher Statur hinter einem Vortrags po di um abgebildet, der wohl eine Präsentation oder einen Vortrag hielt. Das Gesicht war auf beiden Fotos unverkennbar dasselbe, aber ansonsten unterschieden sich die beiden wie Tag und Nacht.
«Verdammt», entfuhr es mir unwillkürlich, «das ist wirklich erstaun lich.»
«Nicht wahr?» Neumann kratzte sich am Kopf. «Der Kerl ist total wandlungs fähig. Kombiniert mit seinem Charisma, seiner Intelligenz und seiner absoluten Rücksichtslosigkeit macht ihn das zu einem ungemein gefährlicheren Neonazi.»
«Wo habt ihr die Fotos her?»
«Von der Antifa.»
«Wem?»
«Der Antifa. Das ist ein Netzwerk linker Gruppen, welches die rechte Szene beobachtet, dokumentiert und darüber berichtet. Sie hat sich ursprünglich in der Hausbesetzer- und Autonomen-Szene gebildet, etwa zur gleichen Zeit, in der auch die Naziskins aufgekommen sind.»
«Das ist wie in einem schlechten Film. Noch so eine Geheimge sell schaft?»
«So geheim sind die nicht. Sie machen das gleiche wie die Rechts extremen, sie outen ihre politischen Gegner. Nur, dass sie im Gegensatz zu denen nicht zum Mord an ihnen aufrufen.» Er zeigte mit dem Finger auf das erste Foto. «Dieses hier wurde vor zwei Jahren an einem Rechtsrockkonzert in der Nähe von Frauenfeld aufgenommen. Das andere wurde letztes Jahr in einem Vorlesungssaal der Uni gemacht. Er hatte da bis letzte s Semester einen kleinen Lehrauftrag.»
«Na super», meinte ich sarkastisch, «Geschichtsvorlesungen beim Führer höchst persönlich . »
Neumann drehte den Ausdruck vor uns um, so dass die Fotos nicht mehr zu sehen waren. Dann schaute er sich kurz um und antwortete nachdenklich: «Weisst du, das ist genau der Punkt. Rappolder ist ein Fanatiker, aber er ist kein Eiferer, wenn du weisst, was ich meine. Er muss nicht bei jeder Gelegenheit mit seinen Überzeugungen hausieren gehen. Im Gegenteil, er weiss immer ganz genau, was sein aktuelles Publikum gerade hören will. Wenn er sich je ernsthaft der Politik zuwendet, dann könnten wir hier bald Zustände wie in Frankreich haben.»
Ich wusste, worauf er anspielte: Der rechtsextreme Front National holte bei den Wahlen in Frankreich regelmässig bis zu fünfzehn Prozent der Stimmen.
«Na», antwortete ich, «dass wollen wir mal nicht hoffen.» Dann zeigte ich auf das Blatt Papier vor uns auf dem Tisch. «Kann ich die Fotos haben?»
«Ja, aber nicht rumliegen lassen.»
Ich nahm den Ausdruck an mich, faltete ihn und steckte ihn in meine Tasche. Dann fragte ich: «Was hat Rappolder für eine Ausbildung?»
«Er hat einen Abschluss in Zeitgeschichte. Nebenfach Arabisch.»
«Arabisch?» Ich starrte ihn ungläubig an.
«Ja. Ich kann mir auch keinen Reim darauf machen.»
«Und was macht er sonst so?»
«Zurzeit arbeitet er an seiner Doktorarbeit und schreibt für mehrere rechtsextreme Publikationen. Woher aber der Grossteil seines Einkommens stammt, weiss ich nicht.»
«Papas Geldbörse?», fragte ich nachdenklich.
«Schon möglich», antwortete er, «aber wie gesagt, ich weiss es nicht. Rappolder ist ein Enigma.»
«Ein Enigma», zitierte ich, «eingewickelt in ein Geheimnis und umgeben von einem Rätsel.»
Neumann starrte mich verständnislos an.
«Winston Churchill hat das gesagt», klärte ich ihn auf. «Er meinte damit Russland.»
Er schüttelte den Kopf. «Du bist ein schräger Typ.»
«Ich weiss. Wo finde ich dieses Enigma?»
«Ich habe dir seine Adresse ausgedruckt.» Er griff in seine Hosen tasche, zog ein zweites, wiederum gefaltetes Blatt Papier hinaus und schob es mir herüber. «Er steht nicht im Telefonbuch.»
«Okay, danke.» Ich steckte es ebenfalls ein. Dann fragte ich: «Sonst noch was?»
Er überlegte und antwortete dann: «Ja, seine Gruppe hat eine Art Klubhaus im Zürcher Unterland, in der Nähe von Bülach. Eine Wald hütte. Vollversammlung ist jeweils am Mittwochabend um acht, sofern das immer noch gleich ist wie im Frühling. Der harte Kern der Gruppe trifft sich wahrscheinlich öfter, aber ich weiss weder wo noch wann und auch nicht wie oft.»
Ich machte mir eine Notiz.
«Noch was», fuhr er fort. «Das Stück Wald, in
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