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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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kostbar. »Hat das Alter Euch zum Philosophen werden lassen, Mylord?«, erkundigte sie sich in scharfem Ton.
    »Das ist einer der wenigen Vorzüge.« Er machte eine Pause. »Da gibt es noch ein Gerücht, das ich gern geklärt hätte, wenn Ihr so freundlich wärt. Wie es heißt, hat Roelstra einen von Euch benutzt. Ich werde nicht fragen, wie. Aber ich kann sehen, dass es Euch ängstigt. Bedeutet es doch, dass Ihr Lichtläufer verletzlich seid.«
    »Und Ihr wisst wohl alles über Verletzlichkeit, obwohl Ihr da auf Eurer uneinnehmbaren Insel hockt!«
    »Friede, Andrade. Auch ich bin verletzlich, wisst Ihr. Ich suche die Abwechslung. So alt ich auch bin, bin ich doch immer noch jung genug, um Aufruhr zu genießen, wenn er zu einer Verbesserung führt. Das ist bei jedem Menschen gefährlich, aber bei einem Prinzen ist es unverzeihlich.« Er lächelte. »Ich werde Rohan unterstützen, keine Angst. Abgesehen davon, dass ich ihn gern habe, bin ich zufällig seiner Meinung.«
    »Warum diskutieren wir dann darüber?«
    »Wegen der Verwundbarkeit, von der ich vorhin sprach. Das ist sehr wichtig, denn sie verhindert Tyrannei. Ihr und ich, wir wissen, dass Ihr Lichtläufer schwache Stellen habt. Die anderen Prinzen tun das nicht. Das beides stellt Eure Kraft dar. Weil Ihr wisst, dass Ihr verwundbar seid, übertreibt Ihr nicht – was möglicherweise Eure Schwäche zutage bringen und die Macht zerstören würde, die Ihr in den Prinzenreichen habt. Nehmen wir einmal Roelstra im jetzigen Fall. Er wusste nicht, dass seine Pläne mit Rohan durch ein Mädchen mit Feuerhaar angreifbar wurden. Also strebte er die Tyrannei an – und es misslang. Und jetzt ist er äußerst gefährlich. Betrachtet auch einmal Euch selbst. Ihr habt nicht gewusst, dass Eure Leute anfällig für etwas sind, das Roelstra mit Eurem Faradhi gemacht hat – und auch das bedeutet einen Misserfolg.«
    »Heißt Ihr mich etwa eine Tyrannin?«
    »Ihr habt das Potential dazu«, antwortete er liebenswürdig. »Lasst mich Euch noch einen Moment länger erzürnen, und dann werden wir nichts weiter tun, als über unsere Nachbarn schwatzen. Ich beschreibe Euch einen Kreis, Andrade. Am Grunde wart Ihr Lichtläufer isoliert und ohnmächtig. Jetzt erklimmt Ihr den Bogen, bis Ihr Euch dem höchsten Punkt des Kreises nähert. Aber da ist noch eine Hälfte – der Sturz aus der Macht.«
    »Ich wünsche keine Macht«, protestierte sie.
    »Vielleicht nicht für Euch persönlich. Aber für Eure Art. Ich bin froh darüber, dass Eure Faradhi’im in die Welt gezogen sind, dass Ihr Eure Kenntnisse und Fähigkeiten mit anderen teilt. Aber versucht nicht, die Welt zu werden, Andrade.«
    »Ihr anderen habt ein ganz schönes Durcheinander daraus gemacht.«
    »Glaubt Ihr, Ihr könntet es besser?«
    Andrade grübelte noch über diese Frage nach, als ein Stück des süßen Turmes vor sie gestellt wurde. Eine aus Zucker gesponnene Flagge wehte an einem Zuckerstab. »Ich weiß nicht«, erklärte sie Lleyn ganz ehrlich. »Aber ich beabsichtige, es zu versuchen.«
    Roelstra stand die Feierlichkeiten durch, weil sein Hass ihn stützte. Während des Mahles zählte er zusammen, wen er alles vernichten wollte. Es war eine interessante Liste, die eines Hoheprinzen würdig war. Andrade stand an der Spitze, gefolgt von dieser Lichtläufer-Hexe in ihrem weiß-silbernen Gewand und den Smaragden, die neben Rohan thronte wie eine lebende Flamme. Der kleine Prinz kam als Nächster und seine Schwester und ihr unerträglicher Gemahl desgleichen. Er würde die gesamte Familie auslöschen – Blatt, Zweig und Wurzel. Ianthe würde ihm helfen, das zu erreichen, denn sie hatte die wichtigste Lektion ihres Lebens gelernt: zu hassen. Er würde sie die wahre Macht lehren; wie sie in anderen genährt werden konnte; wie man Misstrauen und Entzweiung durch den geschickten Einsatz von Halbwahrheiten und Andeutungen säte, die Art und Weise also, wie er seit Jahren das Prinzenreich regiert hatte. Sie würde eine fähige Schülerin werden, denn von all seinen Töchtern ähnelte sie ihm am meisten. Aber gerade deshalb würde er ihr niemals völlig trauen können.
    Sobald es möglich war, ohne den Anstand zu verletzen, verließ er Cluthas absurde seidene Grotte. Niemand würde von ihm erwarten, dass er blieb. Es hatte hochgezogene Brauen gegeben, als er erschienen war, denn alle wussten von der Tragödie an Bord seines Schiffes. Auf dem Weg zurück zum Zelt tröstete er sich mit der Erinnerung an Palilas Schreie, als er

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