Sonnenlaeufer
Erinnerungen an das erste fröhliche Verweben von Sonnenlicht, an Lektionen, die sie mit Cami gelernt und geübt hatte. Wie jung waren sie damals gewesen, wie eifrig bemüht, ihre Gaben zu entdecken, wie aufgeregt angesichts der Wunder, die man auf dem Licht entdecken konnte, wie entzückt über diese unglaubliche Fähigkeit, die sie besaßen. Sioned erinnerte sich daran, wie das alles gewesen war, und instinktiv öffnete sie dem Sonnenlicht um sich her Geist und Herz.
Sie fühlte die Farben der Musik – Saphir und Diamant und Topas und Amethyst, alles durchzogen von pulsierenden, silbernen Schatten. Sie neigte den Kopf nach hinten, bot ihr Gesicht der Sonne dar, die Augen geschlossen, und beobachtete ihre eigenen Farben, die deutlich das Muster formten, das sie benutzte, wenn sie das Licht verwebte. Aber die Farben der Laute waren sonderbar eindringlich und wirbelten scheinbar wirr durcheinander, ehe sie zu einem beständigen Muster wurden – als gehörten sie einem Lebewesen und nicht Draht und Holz.
Hilf mir!
Sioned konnte nicht anders, als auf diesen Schrei zu reagieren. Ihre Ausbildung zur Lichtläufermeisterin setzte sich durch, und eilig verwebte sie die Töne miteinander und empfing das einzigartige Muster eines klugen, ja verschlagenen Geistes, der ihr nicht vertraut war, aber merkwürdig vertraute Untertöne zeigte.
Die Göttin segne dich, Lichtläuferin – ich versuche schon seit Tagen, dich zu finden. Deine Farben sind bekannt, aber du wolltest nicht gefunden werden – und ich kann gut verstehen, weshalb. Bitte – zieh dich nicht von mir zurück – bitte!
Sioned zog sich nicht zurück, aber ebenso wenig trat sie den Gang über das Sonnenlicht an, um zu entdecken, wer sie auf diese Weise anrief. Angespannt und wachsam untersuchte sie das Muster und fand nur wenig, was sie beruhigte. Es gab Schatten hier und da und ein Flackern von Diamant-Weiß, der Farbe der List.
Ich habe nur drei Ringe – ich bin keine Gefahr für dich! Hör mir bitte zu! Ich weiß Dinge, die dein Prinz brauchen wird, wenn er Roelstra schlagen will. Prinz Jastri ist zornig und hitzköpfig, und anstatt sich von seinen Verlusten im Kampf einschüchtern zu lassen, dürstet er nach Rache. Er befehligt mehr als dreihundert. Er wird Roelstra nicht gehorchen, wenn die Versuchung für ihn groß genug ist. Gebt ihm einen Grund!
Die tieferen, brennenden Farben waren umgeben von Feuer und klarem Hass. Sioned wich zurück. Sie war unsicher, wem dieser Hass galt.
Glaub mir! Würde ich das wagen, wenn es mir nicht ernst wäre? Ich möchte euch helfen!
»Sioned?«
Erschreckt verlor sie das Muster, und ein schwacher Schrei verhallte im Sonnenlicht. Sie öffnete die Augen und sah Ostvel, der mit der Laute in der Hand auf sie herabstarrte.
»Ich habe gerade nachgedacht«, brachte sie mit ziemlich natürlicher Stimme hervor. »Verzeih mir, Ostvel, ich wollte deine Musik nicht stören.«
»Das hast du nicht. Ich war fertig.« Er wandte sich ab. »Sioned, ich muss mit dir reden. Tobin hat heute früh von Kleve in Tiglath gehört.«
»Was hat er gesagt?«
»Keine Veränderung. Kleinere Scharmützel, aber die Belagerung hält an. Walvis ist beunruhigt und ungeduldig, und das ist eine gefährliche Kombination. Sie brauchen eine Schlacht, um die Moral zu heben.« Er lächelte traurig über diese Ironie.
»Tod, damit sie mehr Hoffnung im Leben haben?« Sie schüttelte den Kopf. »Was tun wir diesen Kindern an, Ostvel? Walvis sollte eigentlich noch mit seinem Schwert spielen und es nicht ernsthaft benutzen. Und Maarken – er sollte lernen, sich wie ein Herr zu benehmen, nicht wie ein Krieger.«
»Wenigstens tun sie etwas.« Ostvel zuckte verärgert mit den Schultern. »Ich komme mir vor wie eine von Roelstras Töchtern, eingesperrt oben in der Felsenburg.«
Sioned starrte ihn einen Augenblick mit offenem Mund an, warf dann ihre Arme um ihn und lachte. »Roelstras Töchter! Ostvel, du bist brillant!« Ohne ihm Gelegenheit zu geben, sein Staunen in Worte zu fassen, rannte sie zur Burg und rief nach Tobin.
Rohan wusste sehr wohl, dass er nicht länger den Idioten spielen konnte. Zwischen seinem ersten Rialla und diesem Feldzug zur Rettung seines Prinzenreiches lagen sechs Jahre fähiger Regierung und hinlänglicher Demonstration, dass er kein Narr war. Daher waren seine Kriegsberater verblüfft, als er am zwanzigsten Morgen nach seiner Ankunft befahl, das Lager abzubrechen und sich vom Faolain zurückzuziehen. Er lächelte ein wenig und
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