Sonnenlaeufer
Stocken seiner Stimme war ihm peinlich. »Sie hat dafür gesorgt, dass Stronghold wieder leer ist. Diejenigen, die nicht mit mir gekommen sind, sind nach Skybowl gezogen, um sich um die Merida dort zu kümmern. Sie ziehen dann weiter nach Tiglath. Zu Walvis. Sioned sagt – und Tobin ist ihrer Meinung –, wenn jemand nahe genug kommt, um Stronghold zu bedrohen, dann ist jetzt niemand mehr da, für den es sich lohnt, es zu retten.«
»Logisch«, knurrte Chay. »Warum müssen Frauen immer so logisch sein?«
»Die meisten Bediensteten sind mit den Zwillingen nach Remagev gegangen. Nur ein paar sind in Stronghold geblieben – nur die, die loyal genug sind, zu lügen.«
»Worüber?«
»Ach, dann hat sie es Maarken tatsächlich nicht erzählt.« Er trank noch einen Schluck Wein. »Mitte des Winters wird ein Kind geboren werden. Ianthe hat, was sie von mir wollte.«
Chays ausdrucksvolles Gesicht blieb vor Entsetzen reglos. Rohan zuckte die Achseln.
»Willst du mich nicht fragen, wie sie das geschafft hat? Beim ersten Mal dachte ich, es wäre Sioned. Beim zweiten Mal – habe ich sie vergewaltigt. Ich hätte sie töten sollen. Ich habe es nicht getan. Sie hat den Zeitpunkt perfekt gewählt, und jetzt trägt sie mein Kind. Sioned sagt, dass es ein Knabe wird. Davon abgesehen sagt sie nicht viel. Sie will nicht mit mir reden, Chay, und ich kann nicht mit ihr reden, ich kann nicht …«
»Das reicht jetzt«, flüsterte Chay.
»Ich muss mit jemandem reden!«
Chay stellte seinen Weinkelch ab und erhob sich. Er richtete sich absichtlich hoch über Rohan auf. »Da draußen wartet eine ganze Armee auf deine Befehle. Auf der anderen Seite des Flusses wartet ein Feind, der deinen Tod will. Du kannst später Mitleid mit dir selbst haben – wenn du die Zeit dafür hast!«
Rohan wusste, dass er manipuliert wurde, und ein Teil von ihm hasste Chay deshalb. Aber dieser Mann, der in allem außer dem Blut sein Bruder war, hatte recht … verdammt recht! Er sah die kühlen Augen in seinem Gesicht nach verräterischen Spuren einer Veränderung suchen und wandte sich ab. Aber selbst diese Bewegung war genug.
»Das ist schon besser«, bemerkte Chay und nahm wieder Platz. »Nun, da du wieder fähig bist zu denken, widme dich mal dieser Aufgabe. Ich habe Roelstra zehn Tage Zeit gelassen, seine halbe Armee über die Brücken zu bringen, und er hat nicht mehr als fünfzig Mann in Bewegung gesetzt. Wir können noch zwei weitere Kämpfe überstehen, wenn wir Glück haben – aber das ist auch alles. Ich wollte die Hälfte seiner Truppen auf dieser Seite haben, damit ich sie auslöschen kann, und danach wollte ich aufs andere Ufer überwechseln und mich um die andere Hälfte kümmern. Aber er tut mir diesen Gefallen nicht. Wenn du irgendwelche Vorschläge hast, würde ich die gern hören.«
Rohan hätte fast laut gelacht. Er war kaum lange genug im Lager, um seine Kehle anzufeuchten, und schon verlangte Chay von ihm eine taktische Entscheidung, ein Gebiet, auf dem er sowieso noch nie gut gewesen war. Er trank den Rest seines Weines aus, stand auf und sagte: »Ich mache einen Spaziergang. Wenn ich zurückkomme, erwarte ich, hier ein zusätzliches Bett vorzufinden.«
»Iss auch etwas, wenn du schon draußen bist. So, wie du jetzt aussiehst, könntest du dich hinter einer Schwertklinge verstecken.«
»Denkst du das? Dass ich mich verstecken will?«, fragte er.
Ein schwaches Lächeln zuckte um Chays Mundwinkel. »Viel besser. Jetzt bist du wieder ein Prinz.«
Urival sah ihre langen Finger ungeduldig auf den Tisch trommeln, auf dem eine unberührte Mahlzeit stand. Kerzenlicht ließ jeden einzelnen Stein in jedem einzelnen ihrer Ringe aufleuchten, während sich Andrades Finger in wütendem Rhythmus hoben und senkten: Rubin-Achat-Amethyst-Saphir an der Linken, Smaragd-Topas-Granat-Diamant an der Rechten. Beide Daumen lagen flach auf dem polierten Holz, Bernstein auf dem einen, Mondstein auf dem anderen. An Andrades Fingern befanden sich die Symbole wichtiger Eigenschaften: Glück im Kampf, Überzeugungskraft, Edelmut, Wahrheitsliebe, Hoffnung, Intelligenz, Beständigkeit und List. Aber irgendwie sorgte sich Urival mehr wegen der beiden anderen Steine, die Schutz vor Gefahr und Weisheit verhießen. Beides brauchten sie dringend.
»Nun? Ist es bloß die Untätigkeit oder die Unfähigkeit, ihnen allen Befehle erteilen zu können?«, fragte er. Er provozierte sie bewusst.
»Würde denn auch nur einer von ihnen zuhören? Wenigstens sind wir von
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