Sonnenlaeufer
wären sie mein eigen – und Tobin und Chay und ihre Söhne …« Sie lehnte die Schulter an die glatte Steinmauer und schlang die Arme fest um sich selbst. »Ich habe sie zu sehr geliebt. Ich wollte zu viel für sie. Und ich habe Roelstra sogar noch mehr gehasst, als ich die anderen geliebt habe. Macht mich das menschlich genug, Urival?«
»Ich glaube, da ist etwas, was du noch immer nicht gelernt hast«, erwiderte er sanft. »Es gibt nichts, was du jetzt noch tun kannst. Was immer du in Bewegung gesetzt hast, aus welchen Gründen auch immer, jetzt musst du warten, bis es vorbei ist – so wie alle anderen auch.«
Er war erstaunt, als er Tränen in ihren Augen schimmern sah. »Streu nur noch etwas mehr Salz auf die Wunde. Blute ich noch nicht genug?«
Und dann war er noch erstaunter, als er seine Arme um sie legte. »Es passt nicht zu dir, hilflos zu sein«, flüsterte er an ihrem silberblonden Haar. »Das ist gar nicht typisch für meine Herrin.«
Die Gärten, die Prinzessin Milar geplant und so liebevoll gepflegt hatte, welkten dahin, als der Sommer älter wurde. Der Wasserfall in der Grotte war zu einem dünnen Rinnsal geworden und der Teich nahezu ausgetrocknet, weil durstige Pflanzen und Moos das bisschen Feuchtigkeit aufsogen, das das Frühjahr gebracht hatte. Dennoch blieb der Platz ein Hafen kühler Schatten in der stickigen Hitze und Stille von Stronghold, und hierher zog Sioned sich in den langen Tagen des Wartens häufig zurück.
Sie kam nicht hierher, um allein zu sein. Die Burg war leer; sie, Tobin und Ostvel waren geblieben, zusammen mit Myrdal und drei Dienern. Die anderen waren mit Rohan nach Norden oder nach Tiglath gezogen oder hatten Sorin und Andry nach Remagev begleitet. Einsamkeit gehörte jetzt zum Leben in Stronghold.
Sie suchte die Grotte auch nicht auf, um in Erinnerungen zu schwelgen. So paradox es war, die Burg erschien ihr ohnehin immer leer, wenn ihr Gemahl fort war, und doch erfüllte seine Gegenwart den ganzen Ort. Das zarte Schwanken zwischen dem Schmerz, ihn zu vermissen, und dem Schmerz, ihn überall zu spüren, passte genau zu ihrem gefährdeten Gleichgewicht zwischen Heiterkeit und Wut. Die meiste Zeit über bewahrte sie ihre Ausgeglichenheit. Wenn es nicht ging, zog sie sich in die Grotte zurück und zählte die Tage von Ianthes Schwangerschaft, die Tage, die bis zur Wintermitte noch vergehen mussten. Dann würde sie nach Feruche zurückkehren.
Sie wusste nicht mehr, wie oft sie die Berührung von Andrades Farben auf dem Sonnenlicht gespürt hatte. Sie hatte jeden Kontakt mit Hilfe von Verteidigungsmaßnahmen verhindert, die Urival sie gelehrt hatte – nicht, weil sie fürchtete, Andrade würde sie verunsichern, sondern weil sie eifersüchtig über ihre Ausgeglichenheit wachte, die sie so große Anstrengungen gekostet hatte. Die Argumente und Verbote der Herrin hätten Sioneds Zorn erregt, und das konnte sie sich nicht leisten. Nicht vor Mittwinter, wenn sie sich der Verursacherin dieser Wut stellen konnte.
Eines Tages, nach einem neuerlichen Versuch, Kontakt mit ihr aufzunehmen – einer Weberei von größter Geschicklichkeit, die fast funktioniert hatte –, verließ Sioned den sonnenhellen Innenhof, wo sie ihr Pferd gestriegelt hatte, und ging durch die halb toten Gärten zur Grotte. Ein paar Schritte von den schattigen Bäumen entfernt blieb sie wie angewurzelt stehen, als sie plötzlich Musik hörte. Ostvels Laute erklang so selten, dass die Töne ihr Tränen in die Augen trieben. Es hieß, der Gott des Sturmes würde Lichtläufer nur selten mit der Gabe der Musik versehen, die wie seine Stimme in Wind und Wasser war; Mardeems Talent war ungewöhnlich gewesen. Und Ostvel hatte den größten Teil seines Lebens in der Schule der Göttin verbracht und stand jetzt dem Hof einer Faradhi -Prinzessin vor, verfügte aber über die sensiblen Finger und die Seele eines Barden.
Er spielte Camigwens Lieblingslied. Als sie noch lebte, war das eine muntere Ballade gewesen, die jetzt, nach ihrem Tod, zu einer getragenen Weise geworden war, die immer wieder in eine Moll-Tonart abglitt. Sioned war erfüllt von zärtlichen, schmerzhaften Erinnerungen an das dunkle Gesicht ihrer Freundin, an die leuchtenden Augen, an ihr Schimpfen und ihr Lächeln, an die Wärme ihrer Farben. Obwohl sich Sioned mit einer Mauer vor den Berührungen anderer Faradhi’im geschützt hatte und Tobin diejenige war, die auf dem Sonnenschein Nachrichten erhielt, war sie in diesem Augenblick erfüllt von
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