Sonnenlaeufer
sich vielleicht endlich rächen. Er öffnete die Tür ein wenig weiter und spitzte die Ohren.
Pandsala sprach leise und beugte sich auf ihrem Stuhl vor. »… austauschen … vier von ihnen … bestimmt ein Knabe darunter …« Crigo hörte nur ein paar Worte, die keinen Sinn für ihn ergaben. Aber Palila richtete sich plötzlich kerzengerade auf. Ihre Haltung verriet höchste Aufmerksamkeit und auch nicht gerade wenig Angst.
»Aber das Risiko!«, stöhnte sie. »Das ist doch Irrsinn!«
»Ruhig!«, rief die Prinzessin. »Soll das ganze Schloss uns hören?« Wieder senkte sie die Stimme, und Crigo runzelte vor Konzentration die Stirn. »Ianthe plant sehr gründlich … sollte funktionieren … aber meine kluge Schwester hereinlegen … rettet dein Glück … Vater bekommt endlich seinen Sohn … traust du deinen Dienern das zu?«
Crigo biss sich auf die Lippe, als die Bedeutung der Worte der Prinzessin ihn wie ein Faustschlag traf. Geräuschlos schloss er die Tür und schlich den Gang entlang. Er wagte kaum zu atmen, bis er wieder in seiner eigenen Kammer war und die Tür fest hinter sich verschlossen hatte. Augenblicklich wandte er sich dem drogenversetzten Wein zu.
Mit dem Kelch in der Hand sank er in einen weichen Sessel und nahm einen tiefen Zug. Er schluckte die Flüssigkeit nicht nur wegen der Wirkung, die Alkohol nun einmal hat, sondern auch, um das Dranath so schnell wie möglich in seinen Kreislauf zu bekommen. Das erste Symptom waren Kopfschmerzen, so stark, dass er mit den Zähnen knirschte. Aber wie er wusste, vergingen sie bald wieder; an ihre Stelle trat eine zarte Benommenheit, die gerade so lange anhielt, dass er sie als warmes Fließen durch seine Adern und Beine erkennen konnte. Im ersten Jahr seiner Sucht war dieses Gefühl überdeckt worden von einem starken Verlangen nach einer Frau, aber schon seit langer Zeit war jetzt das Dranath seine einzige Liebe. Er wartete auf die eigentliche Wirkung der Droge, diejenige, die er heute Nacht brauchte, und endlich spürte er, wie seine Sinne schärfer wurden, bis eine fast schmerzhafte Klarheit erreicht war. Er hatte fast die Hälfte des Weines für später aufgehoben, denn dann würde er die Bewusstlosigkeit einer großen Dosis benötigen.
Er öffnete die Augen, starrte zu den Deckenbalken empor und rief sich in Erinnerung, was er in der Kapelle gesehen und gehört hatte. Er glaubte zu verstehen, was Pandsala Palila angeboten hatte – und wünschte, er täte es nicht –, aber was hoffte die Prinzessin ihrerseits dadurch zu gewinnen?
Die Antwort war so offensichtlich, dass er an seinem krampfhaften Lachen fast erstickte. Er wusste nicht, ob er es lustig oder abstoßend finden sollte. Die Töchter waren seit Tagen aufgeregt, seit es ihnen klargeworden war, dass einige von ihnen als Braut für Prinz Rohan in Frage kommen würden. Er wünschte, er könnte in diesem Jahr am Rialla teilnehmen und sich von ihren Intrigen unterhalten lassen – ganz besonders von dem kleinen Tanz, den Ianthe und Pandsala aufführen würden. Crigo hatte so wenig Abwechslung; und das war eine, die auch Lady Andrade gutheißen würde, und er wünschte, er brächte den Mut auf, sie über den Mondschein zu informieren. Palila zu beobachten würde ebenso amüsant sein, besonders wenn sie und Pandsala wirklich glaubten, sie könnte Roelstras Entschluss beeinflussen. Ihre Rolle würde offensichtlich darin bestehen, Pandsala im Gegenzug für das heute geschmiedete Komplott zu unterstützen. Aber Crigo unterschätzte Ianthes Fähigkeit, Ränke zu schmieden, ganz und gar nicht – schon gar nicht, wenn es um einen solchen Preis ging. Das war das Schreckliche an der ganzen Sache, der Gedanke an den jungen Prinzen, der mit einer von Roelstras Töchtern verheiratet werden sollte. Crigo kannte die Töchter des Fürsten. Da der Quell vergiftet war, waren es auch die Bäche.
Er drehte den Weinkelch in der Hand und überlegte, ob er Roelstra erzählen sollte, was er gehört hatte. Ein hartes Lächeln verzog seine Lippen. Auf der einen Seite Palilas Ruin, auf der anderen das Schwelgen in dem geheimen Wissen, dass Roelstras Sohn in Wirklichkeit nicht sein eigener war – die Entscheidung könnte schwierig werden. Beides versprach Befriedigung.
Crigo stellte den Kelch beiseite und erhob sich. Ein wenig unsicher trat er ans Fenster, das offen stand und den Mondschein ins Zimmer fallen ließ. Die Felsen gegenüber der Felsenburg waren kalt und hart, der Fluss unterhalb blieb unsichtbar. Doch
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