Sonnenlaeufer
waren Abkömmlinge von Wüste und Drachen.
Schließlich wandte sich Rohan Prinzessin Milar zu, die sich dem Begräbnisstein mit den Schritten einer alten Frau näherte. Tränenspuren schimmerten auf ihren Wangen, und lange blieb sie an der Seite ihres Gemahls stehen, strich sein Haar zurück und ließ das Wasser ihres Kummers auf sein Gesicht tropfen. Andrade trat vor und ließ eine Handvoll Sand auf Zehavas reglose Brust rieseln, die Erde, aus der er hervorgegangen war. Anthoula, seit vielen Jahren die Faradhi des toten Prinzen, hinkte zu seiner Totenbahre und breitete weit die Hände aus. Der Saum ihres Umhangs flatterte, als sie die Luft anrief und sie bat, ihn zum Abschied leicht zu berühren. Dann neigte sie einen Moment lang den Kopf in Respekt und kehrte zusammen mit Andrade dorthin zurück, wo die anderen Lichtläufer standen, eingehüllt in ihre Umhänge und Kapuzen und abseits von den anderen.
Endlich näherte sich Rohan seinem Vater. Er trug das FEUER . Er hob es hoch, ein wenig steif von der Wunde an seinem rechten Arm. Das Licht fiel auf Zehavas Leichnam und den Koloss des Drachen hinter ihm und leuchtete bis in den Sand. Mit der Flamme berührte Rohan die vier Ecken von Zehavas Umhang. Das Material fing Feuer, flammte auf und war der Anfang des Brandes, der Zehavas Geist freisetzen und ihn befreien würde von den Elementen, aus denen sein Körper gemacht worden war.
Und dann tat Rohan etwas Schockierendes. Er trat zum Drachen hinüber, nahm einen kleinen Wasserschlauch von seinem Gürtel und goss den Inhalt über die Schwinge des Tieres. Er ergriff eine Handvoll Sand, schleuderte sie ins Wasser und vollführte schließlich mit der Fackel über dem Haupt des Drachen einen feurigen Bogen. Anschließend steckte er den Leichnam in Brand und trat zurück, die Schultern trotzig gereckt.
Tobin war verblüfft. Sie wusste, dass er beabsichtigt hatte, den Drachen zu verbrennen, aber dass er dieses Geschöpf geehrt hatte, wie Zehava geehrt worden war – unglaublich. Doch als sie in das Gesicht ihres Bruders blickte, glaubte sie ihn zu verstehen. Feinden, die im Kampf fielen, wurde eine anständige Verbrennung zuteil; und ebenso einem Drachen.
Schweiß fing an, auf Tobins Stirn zu perlen, als die Flammen immer höher und heißer wurden, verstärkt noch durch die stummen Bemühungen der Faradhi’im , die in der Nähe standen. Süße Kräuter und Weihrauch waren um die beiden Toten aufgeschichtet worden, doch nichts konnte den Gestank verkohlenden Fleisches überdecken. Sie warf einen Blick in die Gesichter um sie her und stellte fest, dass Strongholds Bewohner um ihren Prinzen weinten, ohne sich ihrer Tränen zu schämen. Zahllose Fremde, die sich zufällig gerade in der Burg aufhielten, standen in kleinen Gruppen beisammen und trugen die vorgeschriebene Maske der Trauer. Tobin störte ihre Gegenwart, aber sie mussten der Zeremonie beiwohnen und mussten sehen, wie Rohan sich hielt. Zweifellos hatte er sie alle schockiert, als er den Drachen ehrte, aber das würde ihnen auch zeigen, dass er sich keine Vorschriften machen ließ.
Als die erste Wartezeit vorüber war, gingen die Fremden zu Rohan hinüber, verbeugten sich und traten den Rückweg nach Stronghold an. Die Diener und Soldaten folgten ihnen, nachdem auch sie ihren neuen Prinzen anerkannt hatten. Nicht mehr lange, dann würden nur noch die Familie und die Faradhi’im anwesend sein. Tobin versuchte, in der Gruppe anonymer, grau gekleideter Lichtläufer Sioned auszumachen. Endlich entdeckte sie das feuergoldene Haar, das offen unter Sioneds Schleier über ihren Rücken fiel. Es gab so vieles, was Tobin von dieser Frau wissen wollte, deren Farben sie kurz berührt hatte, aber es hatte sich noch keine Gelegenheit zu einem Gespräch ergeben. Was hielt Sioned von Rohan, von Stronghold, von der Wüste – und wie gefiel ihr die Vorstellung, eine Prinzessin zu werden?
Rohan nahm die Ehrerbietung der letzten Knappen entgegen. Dann ging er zu Anthoula hinüber, berührte ihren Arm und nickte Tobin und den Zwillingen zu. Das Hinken der Faradhi war jetzt noch ausgeprägter, als sie näher kam und die Hände nach Maarken und Jahni ausstreckte. Sie führte sie zu ihrem Großvater, damit sie ihm die letzte Ehre erweisen konnten. Danach drehten sie sich um, verbeugten sich vor Rohan und traten den Rückweg zur Burg an. Tobin war dankbar für die Freundlichkeit ihres Bruders – Anthoula war zu alt, um die ganze Nacht hier draußen zu verbringen, und die Knaben waren
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