Sonnenlaeufer
im Bett, und er wusste die Resonanz seiner Töne vorteilhaft einzusetzen. Er hielt eine kurze Ansprache und drückte sein Bedauern darüber aus, dass der große und edle Prinz Zehava so früh von dieser Welt gegangen war, und dann bat er die Göttin, Zehavas Geist wohlwollend in ihre liebevollen Arme zu schließen. Keinem der Anwesenden entging es, dass ihm keines seiner Worte ernst war. Alle nahmen an dem Ritual teil, nicht um sicherzugehen, dass die Form gewahrt wurde, sondern um Roelstras Ironie zu genießen und über die köstlichen Zukunftsaussichten nachzudenken, die sich ihnen boten. Es gab kaum einen Kopf in der Runde, der nicht einen Plan zu Rohans Nachteil schmiedete.
Als Roelstra verstummte, blickte Palila zu ihm auf. Sein dunkles Haar krönte silbriges Licht, seine Augen waren nahezu farblos, die Kerze in seiner Hand verströmte einen dünnen, gelblichen Glanz, der die kräftigen Knochen in seinem Gesicht und den teuflischen Zug um seinen Mund betonte. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte leicht. Welch ein Glück war es doch, so sagte sie sich, dass sie einander verstanden. Ihre Position wäre riskant, bis sie ihm einen Sohn geschenkt hatte, aber weil sie ihren Herrn verstand, konnte sie ihm, wenigstens manchmal, zuvorkommen.
Einer nach dem anderen, in der Rangfolge ihrer Bedeutung, erhoben sich die Versammelten und begaben sich hinaus. Sie ließen ihre Kerzen auf Regalen zu beiden Seiten des Torbogens zurück. Palila hatte die Ehre, direkt vor dem Hoheprinzen hinauszugehen und ihre Kerze neben der Stelle zu platzieren, wo er seine eigene ablegen würde. Dies war ein Privileg, das niemandem außer seiner angetrauten Gemahlin hätte eingeräumt werden sollen, aber sie genoss viele ähnliche Privilegien in der Felsenburg und hütete sie eifersüchtig. Eines Tages würden sie ihr rechtmäßig zustehen.
Sie war müde, und die silbernen Schmucknadeln, mit denen ihr Schleier befestigt war, verursachten ihr Kopfschmerzen. Als die anderen jetzt in die Haupthalle hinübergingen, in der ein üppiges Mahl auf sie wartete, gesellte sich Palila nicht zu ihnen. Ebensowenig suchte sie jedoch ihr Bett auf. Sie kehrte in die Kapelle zurück und bahnte sich durch die mondhelle Kammer vorsichtig ihren Weg zum Kristall. Crigo würde bald kommen, um auf dem Mondlicht nach Stronghold zu reisen. Er erledigte häufig ohne Roelstras Wissen derartige kleine Dienste für sie, denn es war Palila, die Roelstra mit seinem Vorrat an Dranath versorgte.
Das gedämpfte Wispern, als die Tür geöffnet wurde, ließ sie herumfahren, den Namen des Lichtläufers auf den Lippen. Aber nicht Crigo trat ein. Es war Pandsala.
Palila unterdrückte ihre Verblüffung und hoffte, Crigo wäre klug genug, von draußen zu lauschen, ehe er die Tür öffnete. Sie lächelte die Prinzessin süß an und fragte: »Na so etwas, was machst du denn hier?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen.« Ein kleines Lächeln spielte um Pandsalas Mund. Es war selbst in der Dunkelheit sichtbar und machte Palila nervös. Die Prinzessin schritt über den weißen Teppich graziös vorwärts, fast so, als handelte es sich um eine Hochzeitsprozession. »Es ist gewiss nicht die Trauer um den alten Prinzen, die uns zurückgerufen hat. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, weshalb du gekommen bist, und es interessiert mich auch nicht, abgesehen von der Tatsache, dass wir allein sind. Ein seltener Umstand, nicht wahr?«
»Allerdings, ja. Aber warum willst du allein mit mir sprechen, Pandsala?« Ihre Gedanken jagten sich, und ihr Blick glitt über das Gewand des Mädchens. Ein Messer? Gift? Wer würde schon eine Prinzessin des Mordes verdächtigen? Der Sohn, den Palila ihrer Überzeugung nach in sich trug, bedeutete eine Gefahr für alle Töchter. Vielleicht war Pandsala geschickt worden, um diese Gefahr zu beseitigen. In der Felsenburg hielten sich genügend Fremde auf, denen man die Schuld zuweisen konnte, genügend Menschen, die sie hassten, so dass die Liste der Verdächtigen praktisch endlos sein würde.
»Möchtest du dich nicht setzen?«, forderte Palila Pandsala auf, nachdem sie zu der Ansicht gekommen war, eine sitzende Feindin würde sich leichter überwältigen lassen als eine stehende.
»Hör auf, die Schlossherrin zu spielen, Palila«, fuhr die andere sie an. »Ich bin hier die Prinzessin, nicht du – ganz gleich, wie mein Vater dich behandelt. Ich mag dich ebenso wenig wie du mich, aber wir können uns gegenseitig von Nutzen sein.«
»In welcher Weise, meine
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