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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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Nichts läge ihm ferner als die ungeschminkte Barmherzigkeit, die ihm vor allem von denjenigen nachgesagt wird, die entweder nichts davon verstehen oder heucheln.

    Er schloss die Augen und schien eingeschlafen zu sein. Ich begriff im Nachhinein, dass sich da das entschuldigende Lächeln anbahnte. Zu diesem Zeitpunkt war es ein fast unsichtbares Zucken der Mundwinkel, das eher mit Zuneigung als mit Entschuldigung zu tun hatte.
    Mir schwanden die Sinne, denn diese seine letzten Worte waren nicht zu ertragen, und ich wusste, dass keine weiteren mehr kommen würden; ich hatte nur den einen Fluchtweg ins Reich des Schlafs.
    Zehn Minuten nach fünf wachte ich auf, und niemand weiß genau, wann er starb. Ein schmaler Streifen Tageshelle lag über den Bergen im Osten. Ich bestimmte, dass der helle Streifen sich bereits geöffnet hatte, bevor Harald verschied, dass es ihm vergönnt war, sich auf den Weg dorthin zu machen.
    Ich stand auf und öffnete das Fenster. Das hatte ich in den letzten Tagen unterlassen, um kalte Luft fernzuhalten (Sterbende sind empfindlich wie Säuglinge), setzte mich wieder auf die Bettkante und schlang meine Arme um ihn, was ich aus irgendwelchen Gründen nie getan hatte, solange er lebte, und ich dachte: Jetzt bist du Ragnhild und mich los, Papa, und die Gewissensbisse, jetzt hast du endlich deinen Frieden an dem Ort, wo der neue Tag beginnt.
    Ich drehte die Lampe, um das Gesicht besser betrachten zu können. Das kleine entschuldigende Lächeln hatte überlebt und besagte: «Ich habe etwas versucht. Aber das war nicht genug. Ganz und gar nicht genug. Verzeih.» Das Lächeln war die direkte und logische Fortsetzung dessen, was er zuletzt gesagt hatte, diese furchtbaren Worte. Mein Kind. Ein Kloß, der mir von jetzt an im Hals stecken würde.
    Mein Kind.
    Wie ich mich danach sehnte, das entschuldigende Lächeln vom Gesicht dieses Mannes zu wischen, der im Tod mein Vater geworden war. Niemand begriff besser als ich, dass jetzt nichts mehr zu ändern war. Kein Lächeln konnte hinzugefügt oder weggewischt werden. Nichts konnte hinzugefügt, nichts weggewischt werden.
    Selbst in dieser Stunde war Ragnhild nicht weit entfernt,hatte sich in die Gedanken hineingezwängt, hinein zu mir und Harald. Alle Wege führten zu dieser Person – sie schien alles zu dirigieren, im Kleinen wie im Großen, das Ende und die Todesursache. (Natürlich war sie es, die die Camel-Torpedos auf den Nichtraucher abgefeuert hatte, sodass etwas Bösartiges daraus wurde.)
    Mir setzte die Frage zu, was Ragnhild damit bezweckt hatte, mich zuletzt mit ihrem Mann allein zu lassen? Sie wusste im Voraus, wann er sterben würde, sie, die mit kaltem, klarem Intellekt Leben und Tod berechnete (und was sie nicht berechnet, das ignoriert sie, wenn es sich um etwas handelt, was ihr nicht in den Kram passt).
    Fast das Schlimmste ist Ragnhilds Mega-Großmut, die wie ein Rauchschleier in jeden Winkel dringt und den Betrachter erblinden lässt. War es vielleicht Ragnhilds übermäßige Großmut, die es Harald gestatten wollte, unbelästigt von ihrer Person zu sterben und friedlich zu seiner lächelnden Liebsten mit Hut zu entschwinden?
    Wenn es mir passte, würde ich Bescheid geben, dass Harald das Zeitliche gesegnet hatte. Ich bin selber Krankenschwester, aber auch wenn ich das nicht wäre, durfte ich, die ich endlich zu seinem Kind geworden war, mich doch wohl so lange, wie ich wollte, von meinem Vater verabschieden. Am Todestag mit ungewisser Todesstunde.
    Der helle Streifen dehnte sich über den Bergen im Osten aus, und ich fühlte mich unwiderruflich alleingelassen, obwohl das nebensächlich war. Ich hatte gesehen, wie der, der mir das Leben gegeben hatte, mich, die Welt und sich selbst verließ, und gleichzeitig verließ ihn jede Zelle eines selbständigen Lebens, das vom dahingeschiedenen Körper aufstieg, und siehe da, diese Zellen ordneten sich zu einer glänzenden Idee über Metamorphose; Ende, die Seele frei von der Hülle, eine neue Hülle um die alte Seele?
    Mitten in dieser Idee verließ ich Harald endlich, um der Nachtwache Bescheid zu sagen. Ich log mir einen wahrscheinlichen Zeitpunkt des Todes zusammen, und genau bei dieser wahrscheinlichen Lüge erschien Ragnhild in Pantoffeln und Burberry auf dem Korridor, frisch frisiert. Auch wenn das Krankenhaus ganz in der Nähe ist, mutet es durchaus seltsam an, sich spät in der Nacht zu frisieren, während Harald im Sterben liegt.
    Ich konnte nicht schlafen, sagte sie.
    Du weißt, dass

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