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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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Jahr, bevor ich nach Kopenhagen ging. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, mit «Opas beiden Mädchen» das Land zu verlassen, solange er noch lebte, denn sie bedeuteten ihm alles. Ása mit den dunklen Brauen und der hohen, geraden Nase war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, und er war beiden wesentlich mehr zugetan als anderen lebenden Frauen.
    Wenn ich Harald richtig beurteile, hatte er genug von diesem Erdendasein (wie das Hausmedium sich auszudrücken pflegte) und hätte es auch akzeptiert, gehen zu dürfen, bevor meine Töchter geboren wurden. Aber nachdem sie sein Ein und Alles geworden waren, wollte er gern sehr viel länger leben, um sie heranwachsen zu sehen und ihnen einen Bruchteil dessen zu geben, was er und Ragnhild meinem Bruder und mir vorenthielten.
    Während Haralds Krankheit passierten viele Geschichten, die ich damals gar nicht mitbekam, so wie das Leben selbstgenau vor unserer Nase verstreicht, während wir es leben. Die Tage kommen und gehen, und kurz bevor sie damit aufhören, sehen wir endlich, dass da das Leben selber unterwegs gewesen ist – ungefähr so hat es irgendein Dichter formuliert.
    Es entging mir, dass Ragnhild mich zur Aufsichtshabenden über Krankheit und Tod ihres Mannes machte, und auch, dass sie Mummi davon fernhielt. Sie richtete es sogar so ein, dass ich ganz allein bei Harald war, als er starb. Was bezweckte sie damit? Das ist die Frage. Nicht nur damals, sondern überhaupt.
    Für mich ist Ragnhild nie von dem her begreiflich, was sie bezweckt, sondern nur von ihren Ansichten her. Aus meiner Sicht könnte sie sogar die einzige Person auf der Welt sein, die absolut gar nichts bezweckt, sondern nur eine einzige überdimensionale Ansicht ist, zusammengesetzt aus vielen kleineren Ansichten. Möglicherweise war es ihre göttliche Ansicht, dass Harald im Sterben am besten bei mir aufgehoben war. Natürlich war ich Expertin auf diesem Gebiet, und Ragnhild, die gegebenenfalls hyperpragmatisch sein konnte, hatte womöglich von diesem Aspekt her den Kurs festgelegt.
    Oder es war ihre Ansicht, dass es den Sterbenden stören würde, uns beide um sich zu haben, uns, die wir uns von Anfang an auf unberechenbare und komplizierte Weise in den Zimmern in der Sjafnargata in die Quere gekommen waren, gleichgültig, wie unsichtbar oder tot ich mich abwechselnd stellte, und dass ich in keine anderen Zimmer ging, wenn sie zu Hause war. So viel weiß ich, dass es Ragnhild nicht darum zu tun war, sich selbst etwas zu ersparen, indem sie mich mit Haralds Tod betraute. Denn das gehörte zu den Dingen, die sie gar nicht kannte: sich etwas ersparen.

    Während Haralds Krankheit kam es dazu, dass ich zusammenklappte – und außer ihm war da niemand, um mich aufzurichten. Ich schämte mich, denn ich kannte Ähnliches von meiner Arbeit und hatte es immer als unangenehm empfunden, wenn Menschen, die vom Tod gezeichnet waren, junge Menschen womöglich, die eigenen Angehörigen trösten mussten.
    Da hätte ich Mummi dringend gebraucht, aber Ragnhild hatte ein beinahe übersinnliches Geschick darin, ihn fernzuhalten, als es auf das Ende zuging. Er ließ sich selten bei Harald blicken und blieb immer nur sehr kurz. Selbstverständlich war Ragnhild der Ansicht, dass Mummi, der genug mit sich selbst und seinen Problemen zu tun hatte, dergleichen nicht zuzumuten war, und selbstverständlich war das eine korrekte Ansicht, denn wie Ragnhild weiß, gibt es keine Grenzen dafür, was mir zuzumuten ist.

    Am Abend bevor Harald starb, entfernte ich mich für eine kurze Zeit aus dem Krankenzimmer und ging in die Sjafnargata, direkt in mein Schimmelzimmer, ohne mich bemerkbar zu machen. Das Zimmer war im Zuge eines Renovierungskollers von Ragnhild eben angestrichen worden, und Schreibtisch und Bett waren mit Tüchern abgedeckt. Aber irgendjemand (Maler? Ragnhild?) hatte gewissenhaft die Trachtenehepaaruhr wieder an ihren Platz gehängt, viel zu weit unten an der Wand, und ich fuhr zusammen, als das schnurchelnde Stöhnen hörbar wurde. Unglaublich, dass Harald dieses zerbrechliche Ungetüm im Ausland aufgetrieben und mit nach Island geschleppt hatte, damit ich in dem Jahr ein Geburtstagsgeschenk bekäme.
    Der arme Harald hatte nämlich das ein oder andere in petto, daran erinnerte ich mich, als ich in den letzten Wochen an seinem Bett saß. Ich hatte beispielsweise vergessen, dass ereinem manchmal, wenn Ragnhild nicht zu Hause war, bedeutete, zu ihm zu kommen. Dann nahm er einen eine Weile auf den Schoß,

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