Sonnenscheinpferd
…, sagte ich vorsichtig und machte Anstalten, Ragnhild zu umarmen, um ihr nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
Ja, sagte sie.
Wer von uns sagt Mummi Bescheid, fragte ich.
Ich mach das, sagte seine Mutter und fügte hinzu:
Du bist am Ende deiner Kräfte. Ist es nicht am besten, wenn du nach Hause gehst und dich hinlegst?
Ich wäre sowieso nur im Weg. Macht es dir etwas aus?
Es ist besser, sagte sie in ihrer hyperunverblümten Art, und die Nachtwache beobachtete völlig verblüfft, dass ich ging. Ich holte nicht einmal meine Jacke aus Haralds Zimmer.
Auf diese Weise blieb es Ragnhild und mir erspart, zusammen bei ihrem gerade verstorbenen Ehemann zu sein. Aber Ragnhild blieb es nicht erspart, das Bild eines lächelnden Mädchens mit kleinem Hut auf dem Nachttisch liegen zu sehen, denn ich hatte vergessen, es wieder in die Brieftasche zu stecken. Vielleicht war es ihr egal, und weil Ragnhild war, wie sie war, konnte es genauso gut sein, dass sie das besser fand.
Die Straßen, die Fensterscheiben der Häuser und die Bäume in den Gärten funkelten, und Katzen tummelten sich in den Blumenbeeten. Dieses Leben und Treiben und die Schönheitwaren unpassend, denn Harald hatte aufgehört zu existieren, sich dafür entschuldigend, existiert zu haben.
An der Ecke zur Sjafnargata verstand ich, dass es vollbracht war. Harald war im Tod Vater geworden, und ich seine Tochter – genau dann.
Mein Kind.
Das Leben spielte uns übel mit, denn er hatte das Zeug zu einem guten Vater, wie sich herausstellte, als meine Töchter geboren wurden. Ich hatte auch das Zeug zu einer besonderen Tochter, und das stellte sich heraus, als ich einen Liebsten bekam.
Wir dürfen nicht das sein, was wir sind, nicht einmal das. Noch weniger dürfen wir das sein, was wir werden könnten. Es gibt nur einen schwachen Abglanz von uns, konträr zum selbstfabrizierten Schatten verlaufend, und unsere eigenen Konturen sind noch undeutlicher als die des Schattens.
Der Sjafnargata-Garten tanzte in den leuchtendsten Farben, als ich das Tor öffnete, das war taktlos und gefühllos, weil der, dem der Garten gehörte und der dort an Frühlingsabenden und Sommerabenden gewerkelt hatte, tot war.
Er war manchmal dort im Mai, wenn ich meinen Freund am Spitalstieg zweimal zum Abschied geküsst hatte. Einmal kam Harald auf mich zu und ging mit mir durch den Garten, sprach mit mir über den Garten und einzelne Bäume. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass der Nasenbaum Ahorn hieß. Da glänzten Haralds Augen hell um meinetwillen. Er freute sich darüber, dass mir in diesem Frühling das Glück aus den Büchern widerfahren war.
Das Glück in leuchtenden Farben, auf die ich mich nicht verstand. Ich stieß sie von mir, damit die Farblosigkeit allein herrschen konnte.
Trotz allem hatte der Vater meiner Töchter anfangs teilweise die gleichen Ambitionen wie mein Liebster, nämlich mich ans Tageslicht zu ziehen, damit ich in irgendwelchen Farben zur Geltung käme. Aber mein Liebster war natürlich der Einzige, der sich auf die Farben verstand, die sich in mir verbargen, und sie bildeten sich in dem Augenblick zurück, als ich im Mokka die Worte sagte.
Die Farben einer Person kommen ans Licht, wenn ein anderer sie überdeutlich sieht, und in dieser Weise sahst du mich und ich dich. Darum geht es dann in der Liebe, und darum, die Nuancen in seinem Freund von da an auswendig zu können. Nicht eine einzige zu vergessen.
Ich habe immer darauf geachtet, meine Farblosigkeit herauszukehren. Nie habe ich mir die Augenbrauen und das aschblonde Haar gefärbt oder Lippenstift aufgelegt. Am liebsten trug ich durch und durch hautfarbene Sachen.
Farbige Sachen sind mir außer zur Magdazeit kaum je auf den Leib gekommen. Damals besaß ich ein blaues Prinzessinnenkleid, eine rote Strickjacke, grüne Socken.
Alles, was ich später anzog, war grau oder beige. Es waren aber nur ganz wenige Kleidungsstücke. Sie waren auf Zuwachs bemessen, und ich wuchs langsam und verschliss nichts. Als ich anfing, mir selber etwas zum Anziehen zu kaufen, hielt ich mich weiterhin an die Farblosigkeit.
Das einzige farbige Teil war der blaugraue Anorak aus dem Scout-Geschäft, den du mich aus deiner Entschlossenheit heraus und deinem Verantwortungsbewusstsein mir gegenüber kaufen ließest.
Und außerdem natürlich die Ausnahme, EIN TÜRKISBLAUER BADEANZUG MIT GOLDFISCHEN.
Als wir das erste Mal ins Hallenbad gingen, sah ich mich unbekleidet vom Scheitel bis zur Sohle im Spiegel, und ich sah,
Weitere Kostenlose Bücher