Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
Vom Netzwerk:
um sechs oder halb sieben. Diese Angewohnheit aus seiner Jugend hatte er beibehalten. Er würde außerordentlich erstaunt sein, sie so früh am Morgenzu sehen, da er wusste, dass sie die Abendschicht gehabt hatte. Sie wollte sogar das letzte Stück zu Fuß gehen, um ihn noch mehr zu überraschen. Das ließ sich aber nur machen, wenn sie das Auto in einiger Entfernung abstellte, denn die morgendliche Stille in Fljótshlíð ist so überwältigend, dass eine zuklappende Autotür weit über den Hang zu hören wäre.

    Dieser Mann, der den Kaffee gekocht haben würde, liebte sie richtig, solange sie sie selbst war, nachdem sie der zähschimmeligen Kindheitshülse entschlüpft war, bevor sich die Erkenntnis einstellte, und mit ihr die Bitterkeit der Lebensauffassung einer Erwachsenen.
    Sie hatte ihm nichts erzählt, auf jeden Fall nichts Besonderes. Er, und außer ihm niemand, wusste ganz genau, wer sie war und wie sie war; das Geheimnis hatte er aufbewahrt, während sie an anderen Orten auf der Welt existierte als er und sich um die Kinder eines anderen kümmerte.

    Als Unnur und Ása klein waren und ich in Kopenhagen Nachtschichten machte, warst du überall präsent, doch die Zeit war zu zersplittert für ganze Gedanken. Als die Mädchen heranwuchsen und ich keine Nachtschichten mehr machte, formten sich meine Gedanken zu einem Bild von dir, das meine tägliche Aussicht wurde. Und auf Strøget und Vesterbro stellte sich heraus, dass Tage und Wege nichts zu bedeuten hatten, mit Ausnahme der Monate, die wir zusammen waren. Dass man auf das sogenannte Leben nichts geben konnte, weil du nicht dabei warst. Meine Töchter hielt ich bewusst aus diesen Gedanken heraus, da hatte niemand etwas zu suchen als du und ich.

    Das einzige Wölkchen am Himmel über dem Gletscher Eyjafjallajökull löste sich gerade auf, und ich dachte darüber nach, wie ich an dich denke, während ich die im Winde verwehende Wolke beobachtete. Es kam mir nicht so vor, als richte sich die Sehnsucht nach dir auf etwas Besonderes. Sie war ganz im Gegenteil allgemein wie Hunger, Durst oder wie brennende Neugierde auf etwas Bestimmtes und deswegen unstillbar. Falls sich diese Sehnsucht auf etwas richtete, dann vielleicht auf ein Flüstern am Ohr, im Schwimmbad: Ich gehe jetzt raus. Und, wenn auch unklar, auf das Verweilen der Hände, bis diese eine Wolke der Auflösung zum Opfer fiel.

    Geistesabwesend. Nicht weniger als Ragnhild vormals. Sie wusste nicht, aus welcher Richtung der Schlag kam, und spürte ihn eigentlich erst im Nachhinein, nachdem sie gedacht hatte: Das ist ein Schlag.

    Auch hörte sie ihn kaum.

    Dass eine Person unter geistesabwesenden Haralds und Ragnhilds von Kindesbeinen an eine solche Übung in Geistesabwesenheit hat, dass sie einen Schlag nicht einmal bemerkt, jedenfalls nicht gleich. Den finalen Schlag vielleicht. Ihn kaum zu hören, oder nur schwach, nicht sicher zu sein, ob es überhaupt einer war.

    Sie spürte keinen Schmerz. Sie spürte noch keinen Schmerz. Aber er war abzusehen, der Schmerz, der anzeigte,

    dass es jetzt vielleicht vorüber war.

    Nein, wie konnte das sein?

    Sie hatte doch in der Ferne bereits das hellblaue Dach eines glückverheißenden Sommerhauses ausgemacht, wo ein wacher Mann mit Kaffee wartete, nun ja, vielleicht nicht direkt wartete. Er konnte ja nicht wissen, dass sie in aller Herrgottsfrühe unterwegs sein würde.

    Wie konnte das sein, dass es zu Ende war? Sie hatte sich doch endlich auf den Weg gemacht und Dóra getroffen, die Dóra, die wirklich existierte und irgendwo zu Hause war.

    Sie musste aber dankbar dafür sein, sie getroffen zu haben. Auf diese Weise würde der Abgang, falls er es war, viel korrekter – denn es ist existentiell wichtig, untadelig aus diesem Leben zu scheiden. Damit kennt sich jemand aus, der sich mit dem Tod von Menschen beschäftigt. Eine andere Sache war es, dass sie keine untadelige Leiche sein würde, und der türkisblaue Pullover, den ich auf dem Weg nach Hafnarfjörður im Einkaufszentrum Kringla erstanden hatte, würde rotfleckig sein, wenn jemand mich verunstaltet hinter dem Steuerrad auffände. Hoffentlich nicht du, für den ich diesen Pullover angezogen hatte, bevor der Samstag begann.

    Seltsam, wie sehr es mir auf den Nägeln brannte, diese Dóra zu treffen, die tatsächlich existierte, mit Adresse und allem, in Hafnarfjörður. Hätte ich die Abendschicht mit Erla oder Tóta getauscht und wäre gestern mit dem grauhaarigen Liebsten in die Fljótshlíð

Weitere Kostenlose Bücher