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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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hochwertigen Spiegel sieht man, dass die Brüste immer noch wie Fremdkörper sind; aber nicht aus demselben Grund wie damals, als sie eben gesprossen waren. Jetzt sitzen sie eher ausdauernd und trotzig an ihrem Platz und haben um keinen Millimeter nachgegeben, sie sind weder zur Seite noch zur Mitte gedriftet, und die Brustwarzen sind hellbraun und frisch wie immer. Zwei kleine saugende Münder haben nichts daran geändert. Alles andere hat sich in der Zwischenzeit geändert.
    Die vier Streifen an meinem Bauch zeugen davon, dass er meine Töchter behaust hat. Meine Knöchel sind blau von geplatzten Kapillaren, und an den Waden finden sich erste Anzeichen von Krampfadern. Klassische Apfelsinenhaut an Schenkeln und Hüften.
    Ich habe keine jungen Hände und klaren Augen mehr. Keiner, der so viele Menschen hat sterben sehen wie ich und versucht hat, sie zu betreuen, lebend, halb tot oder tot, kann kristallklare Augen und gepflegte Hände haben. Unter dünnen Pullovern trage ich oft keinen BH, höchstens manchmal ein Seidenhemd, es ist gut, das vorzuzeigen, was präsentabelist, auch wenn man damit keine besonderen Absichten verbindet. Auf dem Weg nach Osten zu dir werde ich den türkisblauen Pullover tragen, den ich mir gestern kaufte, bevor ich zu Dór fuhr – als endlich die Zeit der Farben gekommen war.

    Ich ließ meine kleine Reisetasche an der Haustür zurück, um sie auf keinen Fall zu vergessen, und ging nach oben. Mama hat jegliches Zeitgefühl verloren, und man kann zu jeder Tages- und Nachtzeit mit ihr in der Küche rechnen, im karierten Hausmantel von Papa.
    Guten Tag, Mama. Kannst du nicht schlafen?
    Ich habe ein bisschen geschlafen, aber ich habe schlecht geträumt.
    Vergiss es. Träume sind Schäume.
    Das Morgenschweigen in der Sjafnargata, in diesem dickwandigen steingrauen Steinhaus mit der langen Treppe und dem unnatürlich tiefen Garten, legte sich über die Küche und sämtliche dreihundertsechzig Quadratmeter.
    Nimm dir einen Kaffee, meine Liebe. Es ist nicht gut, mit hungrigem Magen in sagaträchtiges Gebiet zu fahren. Ich habe auch schon Haferbrei gekocht.
    Es wurde hell in der Küche, in Ragnhilds Reich, und ich empfand etwas, was Dankbarkeit ähnelte, während ich auf der Schwelle stand und Mamas altes Antlitz betrachtete, Ragnhilds Gesicht, die in ihrem Starrsinn zu gut gewesen war, zu gut auch, um an ihre gesunden Kinder zu denken – soweit sie überhaupt ein Bewusstsein dafür gehabt hatte, dass sie Kinder hatte, denn das wäre ja auf Kosten der kranken Kinder im Krankenhaus gegangen.
    Doch das Kind hatte es aus purem Zufall heraus geschafft, lange genug zu leben, und wurde später zum Kind seiner Eltern und begann ganz selbstverständlich Mama zu sagen. Solange hatten das Kind und die Mama gelebt, dass es zum Schluss morgens von Mama Haferbrei mit Honig und Sahne vorgesetzt bekam.
    Ein später Mamabrei, Entschädigung für etwas, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist, mehr als das kann man nicht von einem Leben erwarten. Was sein sollte (the real thing), lauert hinter den Entschädigungen wie der Schatten eines Regenbogens. Der Regenbogen selber, das, was sein
sollte
, ist nicht einmal zu sehen.
    Das ganze Dasein ein Entschädigungsversuch für etwas, was fehlt. Es sei denn, dir und mir in Fljótshlíð würde es gelingen, den Schwanz des Regenbogens zu erwischen, nicht nur seinen Schatten.
    Gute Fahrt, bestes Kind, sagte sie zuletzt, und ich küsste meine Mama Ragnhild auf die Wange und strich ihr sogar übers Haar, das keineswegs völlig ergraut war.
    Danke, liebe Mama.

    Auf dem Weg über die Existenztreppe nach unten kreiste es in meinem Hirn: bestes Kind.
    Gute Fahrt, bestes Kind.
    Das konnte ein Satz aus einem Märchen sein, so abenteuerlich und lieb war er.
    Die Ragnhildmama hatte mich bestes Kind genannt.
    Es stieg mir zu Kopf, als hätte ich mit dem Haferbrei Champagner bekommen.
    Dornröschen war das beste Kind
    Ratata, ratata,
    Dornröschen schlief dann rallala, rallala, rallala …
    Ich nahm die Reisetasche und öffnete die Haustür hinaus in die Überhelligkeit der Sjafnargata im Mai, hinaus in denMorgen, bevor der Tag beginnt. Der Garten tanzte wie an dem Morgen, an dem Harald starb und ich mich in sein Kind verwandelte, endlich.
    Ra ralla lalla bestes Kind bestes Kind, bestes Kind …
    Nicht in einem Barracuda wie früher einmal eine Zahnärztin im Þingholt-Viertel, aber doch mit genügend PS, die Krankenschwester im Mazda Sport auf dem Weg zu ihrem grauhaarigen

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