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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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von mir war, dich zu besuchen.
    Ganz bestimmt nicht, sagte die Frau und lächelte so, wie Nellí gelächelt haben würde, hätte sie Zähne gehabt.
    Sie fügte hinzu: Das ist eine schöne Geschichte.
    Dann fand ich vor lauter Freude darüber, eine schöne Geschichte für meine alte Seelengefährtin erfunden zu haben, ohne dass ein böses Ende aus der Realität einen bedrohlichen Schatten darauf warf, keine Worte mehr.
    Plötzlich fragte mich die Frau: Hast du davon gehört, dass ein Mädchen aus der Oststadtschule sie damals gefunden haben soll?
    Auf diese Frage war ich überhaupt nicht gefasst, aber es gelang mir, das zu verbergen. Wer in der Sjafnargata aufgewachsen ist, hat eine erstaunliche Geschicklichkeit im Geheimhalten erlangt, auch wenn das eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Es gab nichts Besonderes zu verbergen – und niemand bemerkte, wenn man eine seltsame Verhaltensweise an den Tag legte.
    Nein, nie.
    Dann ist das bestimmt eine Klatschgeschichte gewesen.
    Die Kinder in der Oststadtschule haben immer irgendwelche Geschichten erfunden.
    Sie haben sich einen Riesenspaß daraus gemacht, meine Mutter zu verspotten. Ich war noch nicht alt, als ich anfing, mich an ihrer Stelle zur Wehr zu setzen. Das tat sie nämlich selbst nie. Das konnte sie nicht.
    Dann stand die Frau auf und ging hinaus. Ich dachte, sie würde in die Küche gehen, um nach dem Kaffee zu sehen, oder vielleicht auf die Toilette, aber sie kehrte sofort mit einem Schlüssel zurück und öffnete eine der Schubladen in dem blankpolierten Schreibtisch. Der entnahm sie die mit hellblauer Seide überzogene Schachtel und legte sie auf den Tisch. Der Name auf der Schachtel hatte genau die nachtblaue Farbe, die ich nie vergessen habe.
    Die Frau sah, wie ich die Schachtel anstarrte, und schaute mich fragend an. Ich wich ihrem Blick aus und gab nichtspreis. Sie würde nicht erfahren, dass ich die Schachtel unvollendet gesehen hatte, dass das A in ihrem Namen noch fehlte, sodass sie meine Dór wurde, nie dekliniert, unveränderlich, und manchmal Mein Dörchen.
    Die Frau nahm die Schachtel wieder hoch und hielt sie eine Weile in den Händen, als sei sie ein lebendiges Wesen, ein kleiner Vogel oder eine Maus.
    Jetzt endlich zitterte die Stimme: Das hat Mama gemacht, nachdem ich ihr weggenommen wurde. Sie konnte buchstäblich aus nichts etwas machen. Sieh mal, wie wunderschön das gestickt ist.
    Die Frau öffnete die Schachtel, die von innen mit schwarzem Samt gefüttert war. Nellí war bestimmt schon damit fertig gewesen, als ich kam, denn sie musste ja vor dem nächsten Morgen noch so viel erledigen. Das A in Dóra fertigsticken und die Schachtel von außen mit hellblauer Seide beziehen. Außerdem die Reste von unserer Kaffeetafel wegräumen und alles spülen. Ich war mir sicher, dass sie das getan hatte, und vielleicht auch noch den Boden gewischt.
    Die Frau nahm einen Brief aus der Schachtel und reichte ihn mir. Da kam eine weiße Blume aus Perlen zum Vorschein, die auf den schwarzen Samtgrund der Schachtel genäht waren. Der lange Stiel war vornehm geschwungen, die zwei Blätter waren ganz spitz, und die winzig kleine Blüte neigte den Kopf.
    Außer meinen Pflegeeltern, meinem Mann und meinem Psychiater hat niemand diesen Brief gesehen.
    Ich dachte: Psychiater, genau das könnte ich gebrauchen. Und im nächsten Augenblick: Das kann warten, bis Ragnhild tot ist. Ich würde ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich mich bei irgendeinem Fremden über ihre Schwerhörigkeit ausließe, solange sie immer noch in Haralds Hausmantel in der Küche saß.
    Die Frau sagte: Mama war so sorgfältig. Sie hinterließ diese Schachtel und das Bild von mir mit der Anweisung, dass ich das Bild und die Schachtel mit dem Brief darin bekommen sollte, aber erst, wenn ich dreizehn war. Daran hat man sich gehalten.

    Mein Kind,

    jetzt weiß ich, dass Du dreizehn bist, ein gutes und hübsches Mädchen, und Du kannst bestimmt schon mehr stricken als einen kleinen Schal. Um mich herum ist es hell, wenn ich daran denke. Ich danke Gott dafür, dass er Dich mir gegeben hat, und ich weiß, dass er an meiner Stelle gut auf Dich aufpasst, wo auch immer Du bist.
    Wenn Du noch größer bist, wirst Du auch verstehen, und vielleicht verstehst Du es auch jetzt schon ein bisschen, dass das Unglück stärker ist als ich, und nicht zuletzt die Armut.
    Ich bitte Dich, lieber an die schönen Tage zu denken, denn von denen gab es auch einige.

    Deine Dich liebende Mama

    Ich begann zu

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