Sonnentaucher
darstellten.
Jacob überlegte. Auf der bisherigen Reise hatte Culla es stets vermieden, seine Mahlzeiten zusammen mit den anderen einzunehmen. Allenfalls trank er gelegentlich einen Wodka oder ein Bier durch einen Strohhalm. Jacob wußte nicht, weshalb das so war. Er konnte nur annehmen, daß irgendeine kulturelle Hemmung das Wesen daran hinderte, in der Öffentlichkeit Nahrung zu sich zu nehmen.
Wenn man es sich recht überlegt, dachte er – mit diesen Mühlsteinchen, die er im Mund hat, kann das Essen ja wirklich in ein ziemliches Gemetzel ausarten. Anscheinend bin ich hier hereingestolpert, während er gerade beim Frühstück war, und er ist nur zu höflich, es zu erwähnen. Er warf einen Blick auf die Tablette, die noch immer in seinem Becher lag. Er steckte sie in die Jackentasche, zerknüllte den Becher und warf ihn in den Abfalleimer.
Jetzt sah er auch den Knopf mit der Aufschrift ›Kaffee schwarz ‹. Er lächelte betrübt. Vielleicht wäre es das beste, sich den Kaffee überhaupt zu verkneifen, um Culla nicht in Verlegenheit zu bringen. Der ET hatte zwar keine Einwände erhoben, aber immerhin hatte er ihm den Rücken zugekehrt, als er gesehen hatte, wie er auf die Speiseautomaten zuging.
Culla blickte auf, als er zurückkam. Er öffnete den Mund einen Spaltbreit, und einen Augenblick lang sah Jakob einen Schimmer wie von weißem Porzellan.
»Schind Schie jetscht nicht mehr... schläfrig?« erkundigte der Alien sich fürsorglich.
»Nein... äh... nein, danke. Danke auch für Ihre Erklärungen. Ich hatte die Sonne immer für einen ziemlich unkomplizierten Himmelskörper gehalten – abgesehen von Sonnenflecken und Protuberanzen. Aber anscheinend ist sie doch einigermaßen verzwickt.«
Culla nickte. »Dr. Kepler ischt unscher Ekschperte. Von ihm werden Schie eine beschere Erklärung bekommen, wenn Schie an einer unscherer Tauchfahrten teilnehmen.«
Jacob lächelte höflich. Wie sorgfältig die Galaktiker ihre Gesandten ausbildeten! Ob Cullas Kopfnicken für ihn persönlich etwas bedeutete? Oder hatte man ihn nur gelehrt, diese Geste in der Gesellschaft von Menschen zu bestimmten Zeiten und Anlässen auszuführen?
An einer Tauchfahrt teilnehmen!
Er beschloß, Culla nicht aufzufordern, diese Bemerkung zu wiederholen. Ich sollte mein Glück nicht allzu heftig auf die Probe stellen, dachte er.
Er gähnte. Im letzten Moment besann er sich und verbarg den Anfall hinter vorgehaltener Hand. Man konnte nie wissen, was eine solche Geste auf dem Heimatplaneten des Pring zu bedeuten hatte! »Tja, Culla, ich glaube, ich gehe dann mal wieder in meine Kabine und versuche, noch ein bißchen zu schlafen. Vielen Dank für die Unterhaltung.«
»Aber esch war mir ein innigesch Vergnügen, Jacob. Gute Nacht.«
Jacob schlurfte den Gang hinunter und erreichte seine Koje mit knapper Not, bevor er fest eingeschlafen war.
6. Retardierung und Diffraktion
Sanftes, perlmuttfarbenes Licht drang durch die Luken und beleuchtete die Gesichter derer, die zusahen, wie der Merkur unter dem hinabsinkenden Schiff dahinglitt.
Fast jeder, der nicht irgendwo Dienstpflichten zu erfüllen hatte, war in die Lounge gekommen, und alle standen vor der Reihe der Aussichtsfenster, gefesselt von der furchtbaren Schönheit des Planeten. Die Stimmen klangen gedämpft, und Gespräche fanden nur innerhalb der kleinen Gruppen statt, die sich vor den Aussichtsluken drängten. Nicht selten war ein leises Knattern, welches Jacob nicht identifizieren konnte, das einzige Geräusch ringsumher.
Die Oberfläche des Planeten war zerkratzt und vernarbt von Kratern und langgezogenen Furchen. Die Schatten der Merkur-Gebirge lagen tiefschwarz und vakuumscharf in hellen Silber- und Brauntönen. In mancher Hinsicht ähnelte der Planet dem Mond der Erde.
Aber es gab auch Unterschiede. An einer Stelle hatte eine vorzeitliche Katastrophe ein ganzes Stück aus der Kruste gerissen. Die Narbe lag, eine Reihe von tiefen Rillen, auf der Seite, die der Sonne zugewandt war. Der Terminator zog sich als krasser Kontrast am Rande des Einbruchs entlang, eine scharfe Grenzlinie zwischen Tag und Nacht.
Dort unten, an den Stellen, wo die Schatten nicht hinreichten, prasselte ein Regen aus sieben verschiedenen Feuerarten hernieder. Protonen, Röntgenstrahlen, die aus der Magnetosphäre des Planeten hervorschossen, und der simple blendende Sonnenschein selbst vermischten sich mit anderen tödlichen Dingen und bewirkten, daß die Oberfläche des Merkur sich in vielfacher
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