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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Schemel stieg und anfing, an den Knöpfen zu drehen.

    Auf dem zentralen Schirm erschien eine alte Frau, die abgestützt mit lauter Kissen aufrecht im Bett saß. Ihr Gesicht war durch eine Adlernase und lange, trockene, gelbe Hautfalten gezeichnet, aber die Hände, die aus den Ärmeln des gerüschten Nachthemds schauten, sahen kräftig, rosa und gesund aus. Gerade so, als seien die Arme gespiegelte Parasiten, die an dem verwelkten Rumpf angedockt hätten, der eine links, der andere rechts, um von den Resten ihrer Vitalität zu profitieren.
    »Hallo, Consuela, guten Morgen«, sagte der Gute Doktor. »Und wie geht es uns heute?«
    Frau Oriflamme blickte nach oben in die Kamera und winkte energisch. Sie ähnelte zunehmend einem kauernden Raubvogel. In ihren großen, gelben Augen schienen die gespenstischen Inhalte einer ausgelaugten Fantasie zu leuchten. »Frankie?«, winselte sie.
    Der Doktor drückte eine Taste. »Nein, Consuela«, sagte er nachsichtig zu seiner Patientin, »nicht Frankie. Heute nicht. Ich wollte nur kurz nach Ihnen sehen, mehr nicht. Könnten Sie die Ärmel für mich hochkrempeln, was meinen Sie? Gut so, ja.«
    Niglon Leglois verfolgte die neuen Arme, die mal hierhin, mal dorthin schwangen. Der Rumpf schien sich nicht an den Bewegungen zu beteiligen, ähnlich wie bei einem gelangweilten Schranten. »Jetzt hoch über den Kopf, Consuela.« In einem Bildschirmfenster stiegen und fielen die Messwerte der Sensoren, die an ihrem Nachthemd befestigt waren: Kalorienverbrauch, Blutdruck, Drehmomente an Handgelenk und Schulter. »Diese Arme sind kräftiger denn je«, konstatierte der Gute Doktor.
    Dann runzelte er die Stirn. »Was ist das?«, fragte er. Er zeigte auf etwas Kleines, Weißes, das plötzlich hinter ihren Kissen hervorwuselte. »Da, noch eins! Guter Gott, es wimmelt ja davon!«
    Niglon Leglois zoomte zurück. Das Zimmer der Patientin
schien überschwemmt zu werden. Pausenlos zwängten sich schmutzig weiße Geschöpfe aus einem Loch im Teppichboden. Borstige, vitale kleine Körper, lang und dünn, wuselten durchs Zimmer und krabbelten am Bett empor. Sie sprangen auf dem Bettzeug herum, nervös wie junge Hündchen, krallten ihre Pfötchen in die Laken und Kissen und sabberten der Patientin übers Gesicht.
    Ehe Leglois einen klaren Gedanken fassen konnte, flog die Tür zu Suite No. 1 auf, und noch mehr solcher Kreaturen platzten ins Zimmer, ältere mit ihresgleichen auf den Schultern, die mit schweren Waffen in den Korridor zurückschossen und ein irres Gelächter ausstießen. Manche waren mit Stoff- und Lederfetzen behangen, mit blindgescheuerten Medaillen, Halsketten und Namensschildchen. MORLOCKS, lasen die Beobachter am Bildschirm, als die Kamera wieder heranzoomte. SHITFUC. »Tschii!« , fauchten die Eindringlinge. »Tschi-tschiiiii!«
    Leglois suchte nach dem Alarmknopf. »Wo-wo-wo sind die Wachen?«, stammelte er mit schriller Stimmer. »Wer-wer-wer zum Teufel hat Dienst?«
    Die Hände der Patientin wussten, was zu tun war. Jede packte einen Keck zielstrebig beim Nacken und schleuderte ihn aus dem Bett. Doch für jeden Keck, den sie wegschleuderten, kam ein neuer hinzu und verbiss sich in die sanfte, rosafarbene Haut.
    Durch das böswillige Kreischen der Invasoren schnitten immer öfter die schrecklichen Schreie von Consuela Oriflamme. Der Gute Doktor sah sich nach einer Waffe um - eine Krücke, eine Feueraxt, einen von diesen Stachelstöcken, mit denen sie die Patienten quälten. Vergebens. Schlimmer noch, die Beleuchtung flackerte.
    Leglois stand an der Konsole und rief eine Kamera nach der anderen auf. Belanglose Szenen huschten über die Schirme: der
unbenutzte Pool, leer bis auf ein paar fleckige Lachen und Bierdosen; ein freies Schlafzimmer; zwei Schauspieler aus Unlautere Methoden , die sich bei aufwühlender Musik küssten; das verzerrte Gesicht eines toten Wachmanns, das offenbar gegen die Fußleiste gepresst worden war. Leglois schwammen die Augen. »Scheiße, Scheiße, Scheiße …«
    »Wo ist diese Schwester?«, rief der Doktor.
    »Drinnen bei Gloria«, sagte er gequält.
    Inzwischen von winzigen, blutigen Kratzern und Bissen übersät, rutschte Frau Oriflamme halb aus dem Bett. Aber irgendetwas oder irgendjemand wollte nicht, dass sie sich ihren tückischen kleinen Angreifern vollends ergab. Zwei starke Hände wuchsen aus dem zerfetzten Bettzeug und umschlossen ihren Hals.
    »Sie erwürgt sich selbst«, jammerte Leglois.
    Natürlich war das physisch unmöglich. Das Hirn würde die

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