Sonnenwanderer
Tabea.
»In der Skorpion!«, sagte Sarah schroff. »Gott sei Dank ist er tot.« Sie schlug auf das Bettzeug. »Jogo hatte am Ende eine gute Idee. Er hat mich für sein Vergnügen benutzt. Mit Fesseln und so. Ich nehme an, er hatte Spaß, bei ihm war das manchmal schwer zu sagen. Das war alles sehr, sehr traurig.«
Sie drehte sich auf die Seite und nahm Tabeas Hand, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Er hat die ganze Zeit nur von dir geredet«, erzählte sie. »Und er hatte ein paar verflixt wirkungsvolle Drogen. Ich glaube, ich war eine Zeit lang komplett weggetreten. Nichts mehr übrig von mir, gar nichts.« Sie sagte das mit einem gewissen Stolz. »Jetzt will ich nur noch eins: essen .«
Tabea hörte heraus, dass es eine Art Martyrium gegeben
hatte. Also hatte Sarah gelitten und nicht Spaß gehabt. Sie trug Verbände an Handgelenken und Knöcheln. Doch inzwischen war aus dem Martyrium ein Abenteuer geworden, ihr vitaler Metabolismus regenerierte sich, und ihre Stimmung hellte auf wie die Sonne, wenn sie um Jupiters Schulter kam.
Sarah redete mit Kenny, wobei sie mit Abscheu auf seine Schale mit rohem Fleisch zeigte. »Gibt es hier nichts anderes? Auf der Skorpion hatten wir die große Auswahl, manches war vor ewigen Zeiten abgelaufen. Und die Inneneinrichtung! Du musst dich in Acht nehmen mit dieser Skorpion«, sagte sie zu Tabea. »Lass bloß die Finger davon, bis Xtaska sie durchgecheckt hat.«
Tabeas Herz tat weh. Der knorrige Griff der Eifersucht ließ locker, ließ los, als die schmale Hand der Magierin sie berührte.
»Bringt sie fort«, sagte sie laut, beinahe barsch. »Gebt ihr zu essen. Wo ist der Katastrophenbeauftragte? Er will mit ihr reden.«
»Sie sollten auch etwas essen«, riet ihr die Schwester.
»Später«, sagte Tabea. Sie erinnerte sich an den Mann mit dem Buch. Er hatte sie »Schlampe« genannt. Manche gebrauchten noch schlimmere Ausdrücke. »Es tut mir leid, dass ich nicht besser auf dich aufgepasst habe«, sagte sie zu Sarah. Sie sagte es wie jemand, der nicht gewusst hatte, dass diese Worte in seinem Mund waren, und sie nun so rasch wie möglich loswerden wollte. »Scheinbar kann ich auf nichts richtig aufpassen - nicht auf Plenty, nicht auf Alice …«
Ihre Stimme setzte aus. Tabea tat alles weh. Ihr schlecht rasierter Kopf fühlte sich klein und wund an.
»… nicht auf mich.«
Die Frau mit den tiefliegenden Augen und dem langen weißen Morgenrock, die von Kenny hinausgebracht wurde, warf einen verstörten Blick über die Schulter.
»Wir sehen uns später«, versicherte ihr Tabea so nachdrücklich wie möglich.
Das Zimmer war mit einem Mal ganz still. Die Schwester wischte über Tabeas Augen, die aus einem unerfindlichen Grund gewässert hatten.
Tabea hing zum wiederholten Mal diesem Gedanken nach: Leute sind wie Planeten. Du nimmst Kurs auf einen von ihnen, aber unterläuft dir auch nur der kleinste Fehler, und du bemerkst ihn zu spät, dann kannst du dein Ziel um abertausend Kilometer verpassen. Es war ein Wunder, dass überhaupt jemand irgendwo ankam.
Das war einer von den Gründen, warum sie so gerne künstliche Gesellschaft hatte.
Die Schwester schüttelte die Kissen auf. Tabea kaute auf dem Ärmel ihres Nachthemds. »Wenn Sarah sie nicht hat«, sagte sie, »wo ist sie dann?«
»Ich weiß es ganz bestimmt nicht, Käpt’n«, sagte die Schwester.
Inzwischen waren die Chaos-Biker bereits mitten im Sylvischen Aquädukt. Sie fuhren gemächlich, wühlten das Wasser mit ihren kraftvollen Rädern auf. Ihre schrecklichen Narben erzählten von Schmerz und Leid. Ihre Banner waren heraldisch, kryptisch und obszön: fette weibliche Hinterteile, geschwollene Phalli, verziert mit den Insignien fast vergessener terrestrischer Tyranneien. Vor ihnen, auf der anderen Seite der Kluft, unterhielten die Hörner und Gongs des Endhirns eine panische Lärmschwelle, als hofften die Bewohner, sich allein dadurch vor den Invasoren schützen zu können.
Auf der Promenade rückte die Roboterarmee vor: Automaten und freie Drohnen, umprogrammierte Gepäcktrucks und
umkonditionierte Trainingsgeräte. Wer selber keine Waffe war, trug eine; wer keine Hände besaß, bewies, wie adaptierfähig er war. Eine Industrie-Nähmaschine und ein Hovercraft bildeten eine sehr unangenehme und höchst bewegliche Partnerschaft, die sich ihren Weg gleichermaßen durch Leder und Fleisch steppte. Ballwurfmaschinen schleuderten Granaten, während Scheibenwaschanlagen herumhüpften und
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