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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Stumm tanzte das Licht auf dem AV-Schirm. Tabea Jute saß in Jeans und Schottenhemd auf dem Bett. Neben ihr saß Sarah Zodiak, den Kopf in der Kapuze des Morgenrocks und die Hände im jeweils anderen Ärmel wie jemand, der sich aus der verderblichen Welt zurückzieht. Zwei Krankenschwestern standen am Bett und sollten aufpassen,
dass Käpt’n Jute sich nicht übernahm, starrten aber gebannt auf die einander ablösenden Albträume auf dem Bildschirm, deren unterschiedliche Zeitskalen in dem Maße zusammenfallen würden, wie sich die verstreuten Partikel des Schiffes wieder reorganisierten. Mister Spinner und der Katastrophenbeauftragte standen in der Nähe und murmelten unzusammenhängende Sätze und Vorwürfe, die Gesichter zerknirscht vor Wut und Enttäuschung. In der Tür standen Oib und der Apotheker und muhten und weinten, große Tränen tropften von ihren pelzigen Gesichtern.
    Der Bildschirm zeigte ständig wechselnde Kriegsschauplätze.
     
    Die Krähenkolonie über der Kloake stand in Flammen. Ausgemergelte Männer und Frauen klammerten sich an die Kletternetze oder stürzten schreiend in die Tiefe, während von oben und unten Wellen von Gewalt über sie hinwegfegten. Von hohen Gesimsen ließen Kinder Geschosse auf autonome Rotmützen niederregnen. Die Rotmützen schlugen mit grell violetten Todesstößen zurück.
    In aufgegebenen Küchen von Little Foxbourne fielen stachelige Kecks und durchgedrehte Jagdhunde über Vorratsschränke her, zerfetzten Textilien und zerfleischten sich gegenseitig.
    Auf einer Lateralen Felszunge stand Frauke Thorwald und redete lautlos auf ihr Mikrofon ein, während hinter ihr der lautlose Kampf um den Brückenkopf tobte. Die Zuschauer sahen den riesigen Robotaffen, in seinem Rücken das Aquädukt. Der Boden vor dem Brückenkopf musste nachgegeben haben, denn er stand hüfttief in Matrixtrümmern und schlug unter lautlosem Wutgebrüll nach den verbissen angreifenden Deltadrachen. Auf seiner Schulter schwang ein bärtiger Hüne mit Pferdeschwanz den Hammer und drosch auf die Roboter ein, die heraufgeklettert
kamen. Seine Kleidung war derart farbenfroh, dass die zurzeit geringe Auflösung überfordert war.
    Mit einem kleinen hätschelnden Laut nahm eine Schwester Käpt’n Jute bei der Schulter. Tabea wandte sich vom Bildschirm ab, legte den Arm um die Hüfte der Frau und die Wange an das kühle, frisch gestärkte Weiß ihrer Magengrube. Man muss es nicht sehen, dachte sie. Sie hatte das vage Gefühl, das ganze Geschehen sei irgendwie organisiert, wie eine Sportveranstaltung, jeder Kämpfer fand sein exaktes Gegenteil, den perfekten Feind. Sollten sie sich doch gegenseitig neutralisieren. Passagiere waren ihr schon immer ein Dorn im Fleisch gewesen.
    Sarah berührte sie am Arm. »Da ist dein Mann«, sagte sie. Sie schien verängstigt. Aus ihrer hygienischen Zuflucht blickte Tabea auf die neue Szene: ein Septalkorridor mit lauter vergitterten Fenstern und armierten Türen. Rotmützen sprachen lautlos in ihre Armbandmikros. Vor ihren Füßen lag ein junger Brückenwachmann im grauen Tarnanzug, er hatte ein großes, rotes Loch in der Brust und eines im Kopf.
    Ein tiefes Stöhnen lief durchs Krankenzimmer, Unmut wurde laut. Dann kam die nächste Szene, die Docks. Unter Wänden mit schattigen, fast regelmäßigen Zellen, in denen Fahrzeuge jeder Größe, Form und Marke wie Wespenlarven auf das große Schlüpfen warteten, standen Bewaffnete, die auf einen Haufen niedergemetzelter Menschen blickten. Die Kamera wackelte, stolperte. Elektrostatische Entladungen zerstörten immer wieder das Bild. Die geschwärzten Körper am Boden waren aber zweifellos Otis und seine Leute. Käpt’n Jute sah nicht mehr hin. Stattdessen begann sie wieder zu träumen - vom Triumph nach der Katastrophe, von ihrer ruhmreichen Wiedereinsetzung. Wie herrlich es sein würde, wenn sie die Brücke endlich zurückerobert hatten und Plenty wieder übernehmen konnten.

35
    Die Brücke brachte Leutnant Rykow zur Verzweiflung. Wenn das Thalamus-Büro ihn auf Trab gehalten hatte, dann war das hier ein Veitstanz. Jeder Konflikt, egal wo, unterbrach die Kommunikation, beschädigte das Gefüge und führte zu schlimmen Verzerrungen in den bildgebenden Geräten. Es gab eine Vielzahl neuer Gefahrenstellen, und die internen Abdichtungskolonnen kamen nicht nach.
    Der Unteroffizier vom Dienst brachte eine Frau zu ihm. »Sie sagt, sie sucht den Käpt’n. Das haben wir bei ihr gefunden.« Es war eine Platte aus grauem Kunststoff,

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