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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Und dann nichts mehr. Von einem auf den anderen Augenblick waren sie verschwunden. Da war bloß noch das satte Unterwassergrün der Sonde. An der Fliegenden Untertasse flammten Lichter auf und liefen schwindelerregend reihum, wie ein Feuerrad.
    »Was ist los?«
    »Alles ist fort«, sagte der Cherub. Die Lichter beruhigten sich, kreisten gleichmäßig.
    »Was ist fort?«
    »Alle Daten. Komplett gelöscht. Restlos.« Die Stimme des Cherub war nurmehr ein flaches Schwirren. »Wie bizarr.«
    Käpt’n Gillespie sah sich um, aber es gab mindestens fünfzig Löcher, durch die der Eindringling geflohen sein konnte, und das waren nur die, die man von hier aus sehen konnte. Warum fühlte sie sich erleichtert?
    Auf dem Rückweg zur Kaverne zermarterte sich die kleine schwarze Raumkreatur den vorgebeugten Schädel. Ihre Äugelchen flackerten wie winzige Stroboskope, derweil das überlastete Hirn die abwegigsten Berechnungen ausführte.
    »Sie war da«, sagte Xtaska, jedes Wort für sich in den Raum
stellend. »Sie war zu hören. Sie verdrängte Luft. Ihre Masse wurde registriert, sie hatte eine individuelle Temperatur.«
    Dodger Gillespie nahm ihre Utensilien heraus.
    »Du hast sie doch gesehen, oder?«, fragte sie. Sie nagte an ihrer Unterlippe, dachte an den flüchtigen Eindruck, den sie gehabt hatte: den Halbmond der kaffeebraunen Wange, das volle schwarze Kraushaar. Halsketten, die an elektronische Kleinteile erinnerten, die auf Draht aufgereiht waren.
    Der Cherub schwebte unerwartet nahe heran. Im schwarzen Hochglanz seines Bauchs spiegelte sich Dodgers Betroffenheit.
    »Ich muss jetzt weiterarbeiten«, flüsterte Xtaska.
    »Suche also abgeschlossen?«, fragte Dodger Gillespie, aber der Cherub war schon fort.
     
    Sie stieg zur Prachtschneise hinauf, um nachzusehen, ob sich dort jemand herumtrieb. Die Straße lag verlassen, alle Lampen waren aus.
    Käpt’n Gillespie rauchte ihre Zigarette und sinnierte über Halluzinationen, über Dinge, die man zu sehen bekam, wenn man zu lange in den Raum hinausstarrte.
    Eine Brise wehte aus dem Tunnel, trug Staub und Abfall heraus. Sie beleuchtete mit dem Feuerzeug ein Poster an der groben Matrixwand: GROSSER KAMPF, hieß es dort. FREUDENTAL, MO-LOK gegen TUGPIT TIGER. Der Kampf sollte erst in ein paar Wochen stattfinden, trotzdem war das Papier schon spröde und schmutzig.
    Dodger Gillespie steckte das Feuerzeug weg. Immer noch grübelnd, starrte sie in die Finsternis. Da war nur Schwärze und drückende Hitze; dann das Geräusch eines Motors und ein buckliger Schemen, schwarz gegen schwarz: eine Biegung in den Tunnel, sichtbar durch das Licht, das ihr langsam
folgte, heranwuchs, heller wurde, die Tunnelwand vor sich her schob.
    Lärmende Disco-Music schwoll aus dem Tunnel, als ein einsamer Kleinlaster heranholperte, die Scheinwerfer voll aufgeblendet. Es waren Xtaskas Leute, die mit der großen Pumpe. Als sie Dodger am Straßenrand sahen, hupten sie, jagten den Motor hoch und drehten die Musik auf volle Lautstärke.
    »Dodger!«
    »Käpt’n D!«
    Dodger pflückte sich die Selbstgedrehte von den Lippen und unterdrückte ein genervtes Grinsen. »Arschlöcher«, murmelte sie.
    Sie ging hinaus in die Straßenmitte und blieb stehen, die Hände in den Taschen, die Schultern vorgekrümmt, das Gesicht abgewendet, als wolle sie nicht geblendet werden. Irgendwo da draußen gab es Sterne, riesige, brennende, und sie tanzten mit ihren empfindlichen Begleitern aus Stein und Gas und Grün und Meer den erhabenen Tanz, Proxima mit Palernia und wie sie alle hießen? Käpt’n Gillespie stellte sich vor, wie sie strahlten und erwartungsvoll zwinkerten. In einem subjektiven Jahr etwa würde der dichte, geisttötende Nebel des Hyperraums aufklaren, und der Erdsaal würde sich mit dem Licht einer neuen Sonne füllen.
    Bis dahin gab es wirklich nichts Wichtigeres.

TEIL ZWEI
    Die Frucht der Erfahrung

10
    DIE GESCHICHTE GEHT SO WEITER, WIE DIE REISE WEITERGING. WIR STÜRMTEN DURCH DAS NICHT-EXISTIERENDE INS UNBEKANNTE. WIR WAREN SO WEIT JENSEITS DER WELTLICHEN GEFILDE, DASS WIR IHREN RUF KAUM NOCH VERNAHMEN.
    ES GIBT AUF JEDER LANGEN REISE DIESEN SCHWEBEZUSTAND VON »NICHT-MEHR-HIER-UND-NOCH-NICHT-DORT«, IN DEM DIR DIE GEWOHNTE REALITÄT ABHANDENKOMMT. DER BEGINN DER REISE LIEGT ZU LANGE ZURÜCK, UND DAS ZIEL IST NOCH ZU WEIT ENTFERNT; DAS EINE KANNST DU DIR NICHT MEHR VERGEGENWÄRTIGEN UND DAS ANDERE NOCH NICHT VORSTELLEN. ICH HABE EINMAL GEHÖRT, WIE EIN SANZAR-PILOT »OKLAHOMA BESUCHEN« DAZU SAGTE

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