Sonnenwanderer
seinem Team. Sie hatten die Rotmützen auch bemerkt und behielten sie im Auge. Otis stand mit verschränkten Armen zwischen ihnen und Käpt’n Jute, die nichts von alledem mitbekam. Kenny schluckte noch einen Spritzer Zitronensaft. Er lockerte die Schultern unter dem schwarzen Lederwams, bog spielerisch die Fußfinger.
Topaz hielt ihren Begleiter am Arm. »Haben Sie schon mein Double gesehen?«, fragte sie andauernd Leute. »Er ist mein Alter Ego, stimmt’s, du bekennendes Weichei? Außerdem heißt er wie ich!« Die Ähnlichkeit war in der Tat verblüffend. Es war unmöglich, ihn nicht für ihren Bruder zu halten; dabei waren die beiden nicht verwandt, hatten bis neulich nichts voneinander gewusst.
»Er heißt Topas! Mit ›s‹. Ist das nicht verrückt?« Ihre Freunde
bestätigten das mit gedämpften Stimmen. Alles in Plenty war irgendwie verrückt, egal wohin man ging. »Ihr müsst mich jetzt Lady Topaz nennen«, riet sie ihnen, »damit ich weiß, dass ihr mich meint und nicht ihn.« Sie überzeugte in ihrem elisabethanischen Kostüm mit den wattierten, perlenbesetzten Karos an den Stellen, wo die Nähte sich kreuzten. Topas war ein Ritter aus einer anderen Epoche, gepflegt und mit purpurroter Halsbinde und grauem Cut. In der Hand hielt er einen rot-weiß gestreiften Stock, aber nicht mit einer Maske, sondern einem hölzernen Fisch am Ende. Sogar sein Haar glich dem von Topaz: volle kastanienbraune Wellen.
Zusammen sahen sie so sehr wie Zwillinge aus, dass Sarah es nicht mehr aushielt. Sie huschte davon und ließ sich nicht mehr blicken; nicht mal einen Kuss hatte sie Tabea gegeben, so dass diese eine Zeit lang herumlief und jeden fragte: »Wo ist Sarah? Hat jemand Sarah gesehen?« Sie suchte noch lange unter den vielen Gesichtern, den Löwen- und Göttermasken, all den grinsenden Visagen; lauter unbekannte Gesichter, alle eben fremd und belanglos. Sie ließ sich noch einmal einschenken. »Ei machen, ei, ei, ei«, murmelte sie, eine Schrantin beobachtend, die am Wasser stand und mit einer Tatze immerzu über den Pelz in ihrem Gesicht strich. »Es ist so hohl«, sagte sie zu Dorcas Mandebra. »Das Problem mit dem dämlichen Verwaltungsrat ist, dass sie ihre ganze Zeit verquatschen, anstatt mal den Mund zu halten und voranzumachen.«
»Absolut. Was wir brauchen, sind klare Entscheidungen«, sagte Dorcas mit einer Schärfe, die überhaupt nicht zu ihrem Kostüm passte.
Die Schrantin am Wasser trug ein schlüsselblumengelbes, ganz schlichtes Trägerkleid. Sie hatte eine Stabmaske, die für Menschen gemacht war; sie war ungeeignet für ihr Gesicht. Sie
hob sie hoch und blickte mit einem Auge hindurch. Sie ließ sie wieder sinken. Sie schien sich nicht wohlzufühlen in ihrer Haut.
Zoe Primrose erkannte sie. »Das ist Kennys Freundin«, sagte sie. Dass es die mit dem Stoff war, ließ sie unausgesprochen.
Tabea sah sich nach Kenny um. Er stand ein Stück weit hinter ihr und beobachtete einen männlichen Menschen, der sich mit einer Adeptin von Xtaska unterhielt; der Mann stellte auf seinem Armbandset Berechnungen an, um irgendetwas zu prüfen oder zu untermauern. Jogo hielt sich in seiner unmittelbaren Nähe auf, aber nicht so nah, dass sie der Unterhaltung hätte folgen können. Der Mann trug einen grauen Feinkordanzug, ein weißes Hemd und eine konservative rote Krawatte. Schwarzes Haar, knappe Frisur. Keine Maske. Er machte eher den Eindruck eines Geschäftsführers als den eines Partylöwen. Er fand Jogos Interesse und das der tätowierten Xtaska-Adeptin; aber sein Interesse, begriff Tabea plötzlich, galt eindeutig ihr. Er blickte sie an, ein kleines zufriedenes Lächeln um den Mund.
Sie ließ den Mann nicht mehr aus den Augen. Er sagte etwas zu Xtaskas Mitarbeiterin, dann sah er Kindern hinterher, die einen Irrwisch jagten; dann lauschte er, eine Hand in der Hosentasche, dem Streichquartett, wobei er ungezwungen an seinem farblosen Getränk nippte. Die Schrantin suchte seine Nähe, drückte sich zuweilen an ihn. Dauernd warf sie nervöse Blicke in Kennys Richtung, doch die beiden gaben durch nichts zu erkennen, dass sie sich kannten.
Obwohl der Mann mit der roten Krawatte offensichtlich nicht hierher gehörte, schien er sich zu Hause zu fühlen. So, wie er sich gab, hätte man meinen können, er sei auf die Idee zu dieser Harlekinade gekommen; er habe sie sogar selbst in die Tat umgesetzt,
indem er seine Sekretärin oder sonst jemanden beauftragt hatte, eine einigermaßen amüsante Menge bunter Vögel
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