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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sich nicht, dir meine Bücher zu vererben. Du wüsstest doch nichts mit ihnen anzufangen. Gleiches gilt für den Flügel im Wohnzimmer. Was könntest du schon damit tun, außer Nippes darauf abzuladen? Eine Eigenschaft, die Gott den Frauen als Geduldsübung für die Männer eingepflanzt hat. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen – und ich bin sicher, du hast Verständnis dafür –, alle in meinem Privatbesitz befindlichen Bücher sowie den Bechstein-Flügel meinem Sohn Wladimir zu vererben. Mögen sie ihm helfen, sein Studium eines fernen Tages doch noch zu beenden. (…)
    »Nicht gerade diplomatisch«, sagte Tom, als er die Kopie wieder zusammenfaltete.
    »Wenn der wüsste«, sagte Paul.
    Wladimir: »Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich
hab’
mein Studium doch beendet – wenigstens so gut wie.«
    »Nach vierunddreißig Semestern«, warf Tom ein.
    »Na und?«
    Paul: »Ohne Abschluss.«
    »Ein paar Scheißfreunde hab’ ich da.«
    Tom versuchte sich vorzustellen, wie der Tod
seines
Vaters für
ihn
sein würde. Für Tom war sein Vater ein Platzhalter: die Verkörperung einer Sehnsucht, die nie gestillt worden war – der Sehnsucht nach Geborgenheit. Was würde sich ändern, |13| wenn er nicht mehr da wäre? Tom wusste es nicht. Nicht viel, wahrscheinlich. Er hatte mal gehört, ein Mann würde erst durch den Tod seines Vaters richtig erwachsen werden. Bedeutete das, dass man den letzten Rest Unbekümmertheit dann auch noch verlor? Er kam sich doch so schon furchtbar erwachsen vor.
     
    Als Wladimir erfuhr, dass er die Bücher seines Vaters geerbt hatte, suchte er sich als Erstes eine größere Wohnung. Er hatte Glück, die Wohnung kam zu ihm. Tom und er zogen Dielen ab in einem Haus in der Kyffhäuserstraße, das einem Konsortium schwuler Architekten gehörte, von Wladimir »das Kartell« genannt. Zwei von ihnen kamen jeden Mittag mit ihrem silbergrauen Jaguar vorgefahren, um nach dem Rechten zu sehen, sich ihre Kaschmirsakkos staubig zu machen und ihnen Pizza und Cola zu bringen. Eine von den Vierzimmerwohnungen war noch unvermietet, und als Wladimir so tat, als müsse er es sich überlegen, erlagen sie seinem schweißglänzenden Oberkörper und kamen ihm sogar noch mit der Miete entgegen.
    »Was willst du denn mit 135 Quadratmetern?«, fragte Tom.
    »Du wirst dich wundern.«
    Es war ein nicht ganz gewöhnliches Haus. Im Erdgeschoss wohnte ein schwules Pärchen, dem Tom die Namen »Husch« und »Knack« gegeben hatte. Nie sah man einen von ihnen alleine. Sie kamen zusammen, gingen zusammen und kauften gemeinsam ein, aber wenn Tom ihnen begegnete, taten sie immer so, als wüssten sie nichts voneinander. Das ging so weit, dass sie bei Reichelt mit zwei Einkaufswagen unterwegs waren. Der Größere trug eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballmütze, der Kleinere einen schwarzen Rolli, selbst bei dreißig Grad. Auch sie hatten ihre Wohnung dem »Kartell« zu verdanken.
    |14| Im ersten Stock residierte ein in die Jahre gekommener ehemaliger Schauspieler, der seinen weißen Flokati-Hund gerne im seidenen Morgenmantel um den Block führte, dabei Spitze rauchte und an bessere Zeiten zurückdachte; ihm gegenüber wohnte ein Kellner aus dem »Rasenden Roland«, der gerne erzählte, dass er der glücklichste Mensch der Welt wäre, wenn er nur Kinder bekommen könnte. Wie die beiden zu ihren Wohnungen gekommen waren, wussten Wladimir und Tom nicht, konnten es sich aber denken.
    Im zweiten Stock rechts lebte zurückgezogen und still ein Krankenpfleger und links, unter der Wohnung von Wladimir, eine Frau, die Tom und er nie richtig zu sehen bekamen, weil sie wie ein Phantom durchs Treppenhaus huschte. Wie die zu ihrer Wohnung gekommen war, konnten sie sich nicht erklären. Auf ihrem Klingelschild stand in geschwungener Schrift »Gschwind«.
    Tom: »Ihr Name scheint Programm zu sein.«
    Die Wohnung neben Wladimirs sollte im Verlauf des Sommers noch renoviert werden, und oben, im vierten, hatte man die beiden Wohnungen für eine Männer-WG zusammengelegt.
    Wladimir: »Hoffentlich bin ich nie so betrunken, dass ich mich in der Wohnungstür irre.«
     
    Alexandra, König Ottos Hofdame, war wirklich jung, vielleicht sogar jünger als Paul, und er war der Jüngste von ihnen. Als sie die Tür öffnete, fragte Paul als Erstes in seiner unverblümten Art:
» Du
bist Alexandra? Sag mal, wie ist das denn so, wenn ihr euch seht? Sagt Wladimir dann Mutti zu dir?«
    Paul sagte oft Dinge, die der Situation nicht angemessen waren.

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