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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gewagt.«
    Da waren sie schon ein halbes Jahr zusammen.
    Zur gemeinsamen Wohnung war es nur ein kleiner Schritt. Sie bildeten sich ein, dass es keinen Unterschied machte, ob sie weiterhin jeder eine eigene Wohnung hatten, schließlich hielten sie sich doch nur immer bei dem einen
oder
anderen auf. Trotzdem machten sie eine große Sache aus der Entscheidung – als müssten sie sich gegenseitig davon überzeugen, das Richtige zu tun. Ein bisschen wie heiraten: ganz bewusst die drohende Gefahr vor Augen. Damit werden
wir
locker fertig. Nichts konnte sie schrecken. Wenn die Liebe nur groß genug war, nahm sie jede Hürde.
    Einmal saß Tom in der Mensa und brütete über einem Aufsatz, während er lauwarme Nudeln mit ergrautem Broccoli in sich hineinstopfte, als plötzlich jemand sagte: »So also sieht Mensa-Essen aus. Na, da habe ich ja nicht viel verpasst.«
    Es war Helen.
    Tom: »Was machst
du
denn hier?«
    |24| »Ich hatte noch einen halben Urlaubstag – wegen des Umzugs. Den hab’ ich mir genommen.«
    »Und jetzt?«
    »Machst du blau.«
    Die Stadt war träge. Wer nicht arbeiten musste, lag auf einer schattigen Wiese oder kämpfte im Schwimmbad um einen Kubikmeter Wasser. Aus Helen sprudelte das Leben nur so heraus; sie hüpfte mehr, als dass sie ging. Tom und sie liefen nach Hause. Zu Fuß. Quer durch die Stadt. Dafür hatte sie sich frei genommen! Ihr Rock wippte unaufhörlich, und ihre Bluse blähte sich wie ein Segel. Die ganze Zeit über waren ihre Hände ineinander verschränkt. Sie brauchten fast drei Stunden.
    An einer Kreuzung mussten sie auf Grün warten, Helen war kurz davor, im Kreis zu laufen.
    »Komm mit«, rief sie und riss ihn herum.
    »Was …?«
    Sie steuerte ein Geschäft an. Die Fassade war mit leblosen Steinfliesen verschalt. Tom konnte gerade noch das Schild im Fenster lesen: »Bestattungsinstitut«. Etwas für Akademiker, dachte er, und dann: »Was willst du denn …?«
    Aber sie hatte bereits die Tür aufgedrückt.
    Tom bekam Gänsehaut. Auf der Straße hatte er geschwitzt, hier drin war es wie in einem Kühlhaus. Die Räume waren airconditioned. Mussten Särge frisch gehalten werden? Am liebsten wäre er sofort wieder gegangen. Eine Frau Mitte fünfzig mit hennagetönten Haaren und eingefallenem Gesicht blickte überrascht auf und kam hinter ihrem Tisch hervor. In langen Regalen standen indirekt beleuchtete Urnen wie errungene Trophäen einer erfolgreichen Sportlerkarriere. Eine leuchtete in Pink und Türkis wie ein riesiges Bonbon, eine andere war quadratisch, mit flötenden Engeln an den Seiten, die den Deckel anzuheben versuchten. In angemessenem Abstand blieb die Frau stehen: »Guten Tag. Womit kann ich Ihnen helfen?«
    |25| Sie lächelte teilnahmsvoll, neigte den Kopf zur Seite und faltete die Hände. Ihr Kostüm war farblich auf die Fliesen an der Fassade abgestimmt. Mit Leib und Seele bei der Sache, dachte Tom und rügte sich; dies war kein Ort für Doppeldeutigkeiten. Ihr Anblick machte ihn traurig. Im Laufe der Zeit musste der Beruf von ihr Besitz ergriffen haben; irgendwann hatte sie eine Pose angenommen und war darin erstarrt. Tom fragte sich, ob sie giftgrüne Hosen mit grellgelben Blusen kombinierte, sobald sie nach Hause kam. Nein, tat sie nicht.
    »Guten Tag«, sagte Helen freundlich. »Entschuldigen Sie bitte, wir haben eine Frage: Gibt es Doppelsärge?«
    Tom wollte seine Hand aus ihrer lösen, aber Helen hielt ihn fest. Ein Kronleuchter hing von der Decke. Tom musste sich ducken, um nicht dagegenzustoßen. Verlegen blickte er um sich. Ungefähr ein Dutzend Särge wetteiferten um die besten Plätze vor dem Schaufenster. Es gab fancy stuff aus Metall und Kunststoff, aber die Klassiker waren in der Überzahl. Weiter hinten stand eine schrankhohe fahrbare Garderobe, die Leichentücher wie Dessous präsentierte – mindestens dreißig unterschiedliche. Von wegen »im Tod sind alle gleich«.
    »Ich verstehe nicht«, sagte die Frau freundlich, und ihr Kopf neigte sich noch etwas weiter zur Seite. Jetzt sah sie wie ein Boot mit Schlagseite aus. Helen zeigte Toms Hand vor: »Se hen Sie, wir möchten gerne Hand in Hand begraben werden.«
    Die Bestatterin hatte den Verdacht, die junge Frau mache sich über sie lustig, aber sie war sich nicht sicher. Tom auch nicht.
    »Nein, so etwas gibt es nicht.«
    »Auch nicht als Sonderanfertigung?«
    »Nein, tut mir leid. Das wäre ja auch unwahrscheinlich … Ich meine, wie wollen Sie denn sicher sein, dass Sie mal gemeinsam vor den Schöpfer

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