Sonntag bis Mittwoch
sie gegangen war, rasierte ich mich, und während ich mir mit dem summenden und vibrierenden Apparat über die Bartstoppeln fuhr, überlegte ich ziemlich gelassen die Konsequenzen, denen ich mich nicht mehr verschließen konnte: daß die Betäubung durch Dumpfheit, Zynismus und Verzweiflung, die mich seit heute früh gepackt hielten, bis zu einem gewissen Grad aufhörte zu wirken und daß ich nun wesentlich verletzlicher war. Und zum ersten Mal, seitdem Wilby mit primitiver Intuition die Worte ausgesprochen hatte, drang die Drohung mit voller Wucht in mein Bewußtsein: Nicht du – sie. Das Entsetzen packte mich. Nur … nicht töten, vielleicht. 's gibt Schlimmeres als sterben, sagt man. Und meine Phantasie gaukelte mir so grausame und fürchterliche Bilder, so bestialische Greueltaten vor, daß es mir ins Herz schnitt.
Ich riß den Stecker des Rasierapparates aus der Dose, als es an der Tür klopfte und Lee eintrat: mit qualmender Pfeife und einem freundlichen, aber vorsichtigen Blick hinter den dicken Gläsern seiner Hornbrille. »Guten Morgen!« Dann runzelte er die Stirn, nahm die Pfeife aus dem Mund und erkundigte sich: »Sind Sie bereit?«
Bereit? So bereit ich eben sein konnte. Nein.
»Wo ist Welch?«
»Ehe er kommt, wollte ich –«
»Ich brauche keine Warnungen –«
»Keine Warnung. Ich wollte nur fragen, wie Sie mit dem Markham Expose weiterkommen.«
Markham-Expose?
»Wenn Sie Schwierigkeiten haben – ich kenne mich gut mit der Materie aus und könnte ihnen vielleicht helfen.«
Henry hat schon mit ihm gesprochen. Henry hat ihm geraten, mich mit Glacehandschuhen anzufassen.
»Ich werde mich melden, wenn ich Unterstützung benötige.«
Er beugte sich über den Schreibtisch und blies mir den süßlichen Rauch in die Nase. »Sie wollen Mr. Welch doch nicht sehen? Es läuft sowieso alles glatt. Wir hatten einige lange und sehr befriedigende Besprechungen.«
»Bitten Sie Mr. Welch herein.«
Lee Gray zuckte die Achseln, richtete sich auf, rammte die Pfeife zwischen die Zähne und stelzte zur Tür. »Wir sind soweit, Mr. Welch.« Und Colin Welch trat ein. Ich erkannte sofort, daß er sich verändert hatte; sein Auftreten war forsch, zuversichtlich, fast unbekümmert, als er mir die Hand schüttelte. Mir fiel der verschüchterte, zusammengeschrumpfte Mann ein, der vor zwei Tagen auf dem gleichen Stuhl gesessen hatte. Außerdem rauchte Colin Welch heute eine dicke, schwarze Zigarre, deren beißender Rauch sich mit dem Qualm von Lee Grays Pfeife mischte.
»Am besten erklären Sie Mr. Wyatt, zu welchen Entschlüssen wir gelangt sind, Mr. Welch«, begann Lee Gray und hockte sich lässig auf ein Fensterbrett.
»Nun.« Colin Welch räusperte sich. »Nun –« Ich beobachtete, wie der schmale Schnurrbart bei jedem Wort in Bewegung geriet. »Also, bei unserem Gespräch am Montag, da sagten Sie, ich soll die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit, und daran habe ich die ganze Zeit gedacht.« Colin Welch sprach freiweg und jovial. Er lachte, ohne Grund, und fuhr fort. »Wissen Sie was? Sie haben Ihre Krawatte vergessen.« Diesmal griff ich nicht nach meinem Kragen. Ich sah die geöffnete Krawattenschachtel vor mir. Wenn ich nur nicht so zittern würde. »Ich wollte mir gerade eine andere umbinden, als Sie kamen«, log ich. Ich holte die Krawatte aus der Schachtel und legte sie um., während ich mich auf Colin Welch zu konzentrieren versuchte. Er schien so erleichtert, daß er fast betrunken wirkte.
»… wie konnte ich also stoppen? Ich meine, warum sollte ich den Wagen anhalten, wo ich doch nichts gesehen oder gehört oder gemerkt hatte?«
Es gab ein fürchterliches, dumpfes Krachen vorn am Wagen.
»Mr. Welch«, sagte ich, »Sie erklärten mir am Montag –«
»Mr. Gray und ich haben uns die Straße an der Ecke angeschaut. Sie hat Frostaufbrüche. Ich bin nur durch ein Loch gefahren –«
Das Geräusch werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
Meine Hände bebten so, daß es mir nicht gelang, die Krawatte zu binden. Ich schaute von Lee Gray zu Colin Welch und wußte nicht, ob ich in Gelächter oder Tränen ausbrechen sollte. »Ich erinnere Sie ungern daran«, fuhr ich fort, »besonders, da Sie heute so heiter sind, Mr. Welch, aber –«
»Sie müssen in Betracht ziehen, Adam«, mischte sich Lee Gray gelassen ein, »daß Mr. Welch am Montag mit den Nerven fertig war. Wie Sie –«
»Es handelt sich nicht um mich!« Ich legte die Hände flach auf den Schreibtisch und stemmte mich dagegen,
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