Sonntag bis Mittwoch
Wilby und Konsorten und ihrer zynischen Einstellung zu einer Beziehung zwischen zwei Männern. Dieser Gedanke stimmte traurig und verloren: Warum lebte man Tag um Tag, Jahr um Jahr vor sich hin, ohne dieses tiefe und echte und unschuldige Gefühl zu ergründen und auszudrücken?
Selbst da konnte ich nichts weiter sagen als: »Tut mir leid, Hank.«
Schwerfällig wandte er sich vom Fenster ab. Grinste. »Seit Jahren hat mich niemand mehr Hank genannt. Charlene fand es nicht respektabel genug, weißt du noch?«
Ich nickte. Wenn Hank mit ihr zurecht kommt, dann wird es uns auch nicht schaden. Aber manchmal tut er mir ein wenig leid. Dir nicht auch? Und mit dem Widerhall von Lydias Worten im Gedächtnis merkte ich, daß die Dumpfheit von mir gewichen war.
»Schon gut«, sagte Henry. »Angenommen, wir spielen nach deinen Regeln. Du zahlst ihn aus. Ja? Aber als Tarnung wirst du etwas Geld beschaffen müssen, und zwar schnell.« Er schnalzte mit den Fingern und ging zum Telephon. »Phoebe, Brant hier. Würden Sie bitte in mein Büro gehen und Louise veranlassen, mit Dr. Crittenden eine Verabredung heute zum Mittagessen zu treffen.« Er blickte auf seine Uhr. »Für ein Uhr. Früher kann er es nicht schaffen. In meinem üblichen Lokal … Danke.« Er legte den Hörer auf und blieb nachdenklich stehen. »Also. Er plündert dich aus. Wird ihm das genügen? Ich glaube, uns entgeht beiden der wichtigste Punkt, bei unseren Überlegungen. Dieser … Bursche haßt dich, das ist klar. Aus tausend Gründen. Du hast's geschafft, als ehrlicher Mann, er hat dich nicht fertigmachen können, er will sich in dir an seinem Vater rächen, du verkörperst für ihn alles, worunter er sein Leben lang gelitten hat – wieso meinst du, er wird das Geld nehmen und einfach verschwinden? Woher sollen wir wissen, ob er seine Drohungen nicht trotzdem wahrmacht, besonders wenn er so übergeschnappt ist, wie du glaubst?«
Dieser Frage war ich bislang ausgewichen. Selbst in dem unbeherrschten Moment, als mich die Mordlust überkam, hatte seine Drohung mit all ihren grausamen und entsetzlichen Konsequenzen für mich noch keine vorstellbare Form angenommen. 's gibt Schlimmeres als sterben, sagt man. Besonders für Weiber.
»Wenn du Lydia nicht warnst – und natürlich auch Anne –, dann können sie beide wehrlos überrascht werden. Und du hättest keine Minute Frieden bis an dein Lebensende. Du stirbst tausend Tode, jedesmal, wenn du Anne allein draußen auf dem Lande läßt, jedesmal, wenn Lydia einkaufen geht, oder zum Friseur, oder in ein Konzert.«
Diese Konsequenz – diesen möglichen Gedankengang eines so unlogischen und perversen Geistes wie Wilbys – hatte ich noch nicht bedacht. Wieder ein Anzeichen meiner eigenen Verwirrung? Henry hatte recht.
»Nun?« erkundigte sich Henry.
»Vielleicht muß ich das riskieren«, antwortete ich.
»Ohne Lydia zu warnen?«
»Ich weiß nicht!« Scharf und ärgerlich. »Ich weiß einfach nicht.«
Henry hieb die Faust auf die Handfläche. »Krank oder nicht, er verdient nicht, in einer zivilisierten Welt zu leben! Die Gesellschaft kann es nicht gestatten. Das ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können!« Dann senkte er die Stimme und starrte mich brütend, aber gelassener an. »Es gibt nur eine Möglichkeit. Töte ihn. Wenn nötig beide.«
»Es gibt noch eine zweite.« Sie war mir diesen Moment eingefallen: eine vernünftige Lösung, auf die mein strapazierter, herumtastender Geist noch nicht verfallen war.
»Ja, Adam?«
»Ich muß ihn aus der Wohnung kriegen, unter irgendeinem Vorwand –«
»Ja?«
»Und ihn vor Zeugen –«
»Ja?«
»– dazu zwingen, mich zu töten.«
»Um Gottes willen, Adam –«
»Warum, zum Teufel, bin ich nicht schon früher darauf gekommen?«
»Adam, so höre doch! Was du –«
»Ich würde nicht einmal das Geld aushändigen müssen.«
Ich war nicht aufgeregt, sondern irgendwie erlöst: zum Äußersten getrieben, greift man zu extremen Mitteln. Ganz einfach und logisch.
»Adam, mach dir nichts vor: Du kannst noch immer nicht klar denken.« Was meinte er? Warum begriff er nicht? »Schlag um dich, wenn du mußt – aber du gehst bereits wieder von Unterstellungen aus, von gefährlichen diesmal. Erstens: daß er verhaftet, vor Gericht gestellt, verurteilt und mit dem Tode bestraft wird. Wenn du das als gegeben annimmst, dann hast du mehr Vertrauen zu Justiz und Gerechtigkeit als ich. Und wenn es nicht so abläuft, was würde dann mit Anne und Lydia
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