Sonntag bis Mittwoch
der Wand. Es muß doch in dem großen New York jemanden geben, der die Farbe oder Tinte entfernen kann. Wenn nicht, dann jemanden, der es in der alten Form reproduziert.
Lydia. Der Gedanke an ihre Gegenwart, ihre leibhaftige Gegenwart in Fleisch und Blut, der Gedanke an ihre Schönheit läßt mein Herz höher schlagen. Bald wird sie hier sein, und ich werde sie wieder besitzen und nun zum erstenmal wissen, daß ich mehr besitze als die Vollkommenheit ihres Körpers, wissen, daß ich ein Geheimnis in ihr besitze, das zu erkunden und vielleicht zu ergründen von Jahr zu Jahr erregender und befriedigender sein wird.
Die Freude brennt nun in mir wie eine Flamme. Während ich schnell und gleichmäßig zu kehren beginne, überfällt mich eine so leidenschaftliche Fröhlichkeit, daß mir ist, als müsse ich in Jubelschreie ausbrechen, Ausdruck der Erleichterung, der Erneuerung und Erwartung. Und ich weiß auch, daß ich zu so intensiven und tiefgreifenden Gefühlen und Erkenntnissen ohne das, was geschehen ist, nicht fähig wäre.
Das Telephon läutet.
Postskriptum
Geliebte Lydia,
in dem Augenblick, als ich gestern am Telephon Deine Stimme vernahm, wußte ich, daß es noch nicht vorbei war. Mir wurde sofort bewußt, daß das Ganze nicht erledigt und vergessen sein konnte, solange zwischen uns nicht Offenheit herrscht. Die Zukunft, sofern uns eine vergönnt ist, kann nicht auf einem Fundament von Lügen und Halbwahrheiten erstehen.
Während ich zuhörte, wie Du ohne Tränen von dem Herzanfall und Tod Deiner Mutter während Deiner letzten Reisevorbereitungen berichtetest, überlegte ich mir immer wieder, auf welche Art ich Dir was vorgefallen ist verständlich machen könnte. Als Du dann sagtest, Du müßtest noch wenigstens drei Wochen bleiben, um die Hinterlassenschaft zu ordnen und alle möglichen geschäftlichen Fragen zu klären, und mich beschworst, mich nicht zu einer Reise nach England verpflichtet zu fühlen, schien mir das wieder wie ein Wink des Schicksals – oder des Zufalls.
Drei Wochen. Arnold wollte mich ins Krankenhaus einweisen, aber ich überzeugte ihn, daß meine Hand zu Hause ebensogut heilt. Was Du gerade gelesen hast, habe ich in den vergangenen drei Wochen diktiert, Lydia – in ein von Henry geliehenes Tonbandgerät gesprochen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, immer unter der Einwirkung von Antibiotika und unter starken, manchmal unerträglichen Schmerzen, während die von der infizierten Hand ausgehende Blutvergiftung langsam abebbte. Anne, Glenn und Henry wie auch Arnold, der ein strenger und väterlicher Tyrann war, vergewisserten sich, daß ich gut und regelmäßig aß, obgleich ich ihnen nur kurze Besuche gestattete. Ich konnte das Manuskript, das Du eben beendet hast, nicht mehr durchlesen, weil Henry es in einem Schreibbüro unter dem Vorwand, es sei der Roman eines Freundes – übertragen ließ und ich die letzten Seiten erst am Tage vor Deiner Rückkehr diktiert habe. Henry bot mir an, Dich am Flugplatz abzuholen, Dir das Manuskript zu überreichen und einige Erklärungen abzugeben: Ich kann nur hoffen, daß er es schonend getan hat, aber da er Dich liebt, war er sicher behutsam.
Es war auch Henry, der Wilbys Schicksal weiter verfolgt hat. Seine Krankheit wurde als hoffnungslos diagnostiziert: Er lebt in einer Traumwelt und wird nie mehr in die Wirklichkeit zurückfinden. Er wird in die Nervenheilanstalt von Ohio zurückgeschickt werden, weil er dort ein besonders gräßliches Verbrechen begangen hat, dessentwegen er eingewiesen worden war. Es besteht keine Gefahr, daß er entweichen kann, oder daß er, falls es ihm doch gelingt, sich an die Ereignisse hier erinnern wird. Henry berichtete ebenfalls, daß nach Ansicht der Ärzte Wilby innerlich glücklich sein wird, bis er stirbt, ohne Rücksicht auf seine äußere Umgebung. Falls auch dies paradox ist, so habe ich es noch nicht ganz verdaut. Daß Wilby es schließlich sein sollte, der Frieden findet –
Ich erhielt eine Postkarte von Donald: eine sonnige Ansicht des Strandes von Cannes. Auf der Rückseite schrieb er lediglich: »Sie hatten ja so recht.« Jenny erwähnte er nicht.
Lydia, während des Diktierens – unbeholfen, ich weiß, und manchmal nicht recht zusammenhängend – war ich mir jede Sekunde des Schmerzes bewußt, den Du bei der Lektüre erleidest. Aber ich wußte ebenfalls, daß Du, vor die Wahl gestellt und ohne Rücksicht auf Deinen Kummer oder meinen, die Wahrheit verlangen würdest. (Soviel weiß ich
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