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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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Anflug von Triumph oder Genugtuung in Glenns aufrichtigen, blauen Augen – in denen ein Versprechen stand. »Es tut mir leid«, sagte er und trat näher zu mir. »Du könntest doch einen Drink brauchen, oder?« Die Sanftheit seines Tons war neu. »Darf ich ihn dir mixen?« Es klang wie eine Bitte.
    Ich konnte ihn wirklich brauchen. Nach all der Anspannung hatte mich die Müdigkeit wieder eingeholt. Plötzlich war ich völlig erschöpft, und meine Hand klopfte bis zum Arm hinauf bei jedem Herzschlag. Und der Teufel sollte mich holen, wenn ich den Rest meines Lebens vor dem Alkohol davonlief. »Einen kleinen«, stimmte ich zu.
    »Hör mal«, sagte Glenn unvermittelt, »es muß ein fürchterlicher Schock für Anne gewesen sein, so nahe, wie ihr euch steht. Aber Anne ist inzwischen ein erwachsenes Mädchen und wird damit fertig. Und niemand, niemand in der Welt kann dir etwas vorwerfen. Das werde ich ihr klarmachen, und wenn es die ganze Nacht dauert.« Er drehte sich um und marschierte zum Haus.
    Ich sah ihm nach und wußte, daß er mir die letzten Tropfen Scotch eingießen würde, die ich am Sonntag in der Flasche gesehen hatte. Mein Herz zog sich zusammen. Kein Wunder, daß ich ihnen das Leben erleichtern wollte. Aber zum ersten Mal erkannte ich seinen Stolz – und respektierte ihn. Arme Kinder. Dann fielen mir die ersten unsicheren Jahre in New York mit Lydia ein. Und mein Mitleid verwandelte sich in zärtlichen Neid. Was gäbe ich darum, diese Jahre noch einmal erleben zu können.
    Reifen knirschten auf dem Kies. Dann ertönte ein Hupen, einmal. Ich war versucht, aufzuspringen. Anne war nicht in die Wohnung zurückgekehrt. Gott sei Dank! Oder dem Schicksal. Oder dem Zufall. Oder ihrem eigenen Charakter.
    Doch nun mußte ich ihr wieder in die Augen schauen, in dieses geliebte, verletzte Gesicht, die Angst darin lesen und – was? Haß?
    Ich hörte, wie die Wagentür zufiel, und stand auf. Anne kam über den ausgetrockneten Rasen auf mich zu, in steifer Haltung, mit langsamen Schritten. Erst im Schatten des Baumes blieb sie stehen. Keine Hysterie mehr im Blick, sondern eine nichts mehr wissen wollende Ruhe, die ihrem Gesicht etwas Maskenhaftes verlieh. »Ich habe es geahnt, daß du herkommen würdest.« Auch ihre Stimme klang gelassen – zu still. »Du mußt gerast sein.«
    Da erschien Glenn, in jeder Hand ein Glas. Er stellte sie auf der Armlehne eines Sessels ab, ging unverzüglich zu Anne hin und schloß sie in die Arme. Ich schaute zu, mit einem seltsamen Gefühl der Befriedigung, der Erleichterung. Er küßte sie sanft auf die Lippen, trat dann einen Schritt zurück und betrachtete sie. Und als sich ihre Blicke trafen, spielte ein leises Lächeln um ihre Lippen.
    »Ja«, sagte sie, »ich trinke auch einen, Liebling. Tut mir leid, daß ich so spät komme.« Sie holte die Gläser und brachte mir eines, wieder mit ausdrucksloser Miene. »Vater?«
    Ich nahm das Glas entgegen. Ich konnte nichts sagen. Sie hatte mich noch nie Vater genannt.
    »Wir haben uns Sorgen gemacht«, sagte Glenn, aber ohne jede Zurechtweisung. Mir wurde klar, daß alles, was mir in der letzten halben Stunde durch den Kopf geschossen war, ihn ebenso beschäftigt hatte, wenn nicht noch intensiver und schmerzlicher. »Ich wollte gerade mit dem Grillen anfangen.« Er rückte einen Stuhl zurecht. »Setz dich doch. Ich habe Dad eingeladen, aber er kann nicht bleiben.«
    Dad: eine neue Überraschung, aber diesmal eine angenehme.
    Doch Anne nahm nicht Platz: Sie starrte mich noch immer an – weniger erstaunt als flehend und wieder mit einem Anflug der anfänglichen Ungläubigkeit. »Ich bin langsam gefahren, weil ich Zeit zum Überlegen brauchte. Um alles auszusortieren.« Daran erkannte ich eine Art gespannter Unsicherheit hinter ihrer äußeren Ruhe. »Sie ist jünger als ich, nicht wahr, Vater?«
    »Anne –«, mischte sich Glenn ein.
    »Ja, Liebling?« Ihre Stimme klang so spröde wie Glas. »Ja? Ach, ich verstehe. Ihr zwei habt euch unterhalten, von Mann zu Mann.« Sie nippte am Glas. »Wie merkwürdig. Wahrscheinlich hattest du Glenn gegenüber für alles eine Erklärung, Vater.«
    »Ja, das hatte er.« Glenn trat zwischen uns. »So gut er konnte. Anne, ich kann mir denken, was du empfindest, aber dein Vater hatte es nicht leicht.«
    Anne runzelte die Stirn und wandte den Blick ah. »Der arme Kerl«, sagte sie ironisch. Sie trank noch einen Schluck, diesmal einen kräftigen, ehe sie sich wieder an mich wandte. »Mach dir keine Sorgen,

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